Europa – Meditation # 11
Europa – Meditation # 11
Der Islam gehört zu Deutschland. Klingt fast wie eine juristisch fundierte Eigentumserklärung. Seit der zurückgetretene Bundespräsident Wulff diesen Satz in seiner Rede vor der Bundesversammlung ausgesprochen hat, reißen die Kommentare in allen Lagern des politischen und kulturellen Lebens nicht mehr ab im wiedervereinigten Deutschland. So beginnt auch ein ganzseitiger Artikel in der FAS von diesem Sonntag:
„Bei Allah. Der Islam gehört zu Deutschland. Moscheen gehören
in unsere Städte. Politiker sagen gern solche Sätze.
Schau’n wir mal“
Wenn ein fundierter Artikel vor einem kritischen Leser Bestand haben soll, muss er Fakten liefern – möglichst pro und contra. Das ist immer Ausdruck einer selbständigen und um Sachlichkeit bemühten Haltung. So etwas mag der geneigte Leser. Also werden Fakten geliefert: Anzahl der Moslems in Großbritannien, in Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland – dagegen Zahlen aus Irland, den USA, Canada, Australien und Japan. Statistiken zum Bau von Moscheen in den letzten zehn Jahren in den genannten Nationen, Vergleiche von Gesamtbevölkerung und Anteil von Moslems und so weiter…
Schon die Überschrift spiegelt – sehr verkürzt – bereits diesen kritischen Gestus wider: Emotionaler Ausruf als ironischer Einstieg, dann der Delinquent, dann ein weiterer, dann aber schiebt sich die kritische Distanz ins Bild (Politiker werden enttarnt als Geschmäckler) und dann ganz cool ein kleines, vertrautes Statement aus der Welt des Sports, aus dem Mund des dort inthronisierten Kaisers und schon weiß der Leser: Ich bin in guten Händen, der lässt sich nicht die Butter vom Brot schmieren! Der hat Humor, Distanz und Kompetenz: Krutzi-Türk oder so ähnlich…
Am besten einsteigen mit einem Fall-Beispiel und O – Ton. Junge Musliminnen kommen zu Wort und es klingt wie in einem Prediger-Seminar: „Die Bibel und Augustinus sind unsere maßgeblichen Wegweiser“ – oh, pardon, da hat sich der Schreiber wohl in der Zeile vertan. Natürlich zuerst das Zitat vom Parkplatz vor der Moschee: „Allah und sein Prophet Mohammed sind unsere einzigen Wegweiser.“ Klingt unangenehm ähnlich, zumindest im Sprachgestus. Dumm gelaufen.
Nicht viel weiter im Text trifft der Leser dann auf folgenden Satz:
„Es ist derselbe Geist, den die Eltern und Großeltern aus der Türkei mitgebracht haben. Derselbe konservative Islam.“
Heute diskutieren die jungen Leute dort über Themen wie: „Warum wir die Evolutionstheorie nicht akzeptieren können“ . Wenn sich der Leser in diesem Moment an den vorherigen Tag erinnern würde, als er einem Zeugen Jehovas begegnete, der seinen Wachturm zum Verkauf anbot, dann würde es ihm nicht schwer fallen, in diesem Blatt einen Satz zu finden, der noch um einiges mehr fundamentalistisch in Sachen Evolutionstheorie klänge. Aber weichen wir nicht vom Thema ab. Denn die jungen Leute in der Moschee kann man gerade sagen hören:
„Wir können den Deutschen jetzt auf Augenhöhe begegnen.“
Die jungen Leute helfen dort auch beim Unterrichten der kleinen Leute, sie machen das richtig gerne:
„Ich mache das für Allah. Er wird mich in Jenseits dafür belohnen.“
Die kleinen Leute ‚mussten Koransuren auf Arabisch auswendig lernen und jede einzelne Sure im Chor so oft wiederholen, bis es klang, als käme sie aus einem einzigen Mund‘.
Tja, da kommt der eine oder andere Leser vielleicht doch ins Grübeln. Zweimal. Einmal, weil er sich fragen könnte, ob er auch junge Leute kennt, die gerne kleinen Leuten in der evangelischen Gemeinde helfen, weil sie das für Christus machen. Weil der sie dafür im Paradies mit ewigem Leben belohnen wird. Kennt er solche? Vielleicht, aber wenige, wenn überhaupt, Einzelfälle, Übereifrige, die keinen Anschluss bei der coolen Gruppe in der Stadt finden, die auf diesen ganzen religiösen Kram pfeifen (um es mal recht moderat zu formulieren). Und zum anderen, weil er sich fragen könnte, warum er kaum noch solche jungen Leute landauf, landab finden könnte – von den Dreißig- und Vierzigjährigen ganz zu schweigen, die winken doch eh nur gelangweilt ab, wenn das Thema auf Religion, Tod, Jenseits oder so etwas hinausläuft – und dass er sich vielleicht gar nicht über die jungen Musliminnen aufregt, weil die das tun, was sie tun (und auch noch mit Herzblut), sondern über die eigenen Leute, die an gar nichts mehr glauben – außer an die Flat-Rate ihres schnurlosen Spielzeugs in der Tasche und nichts mehr fürchten als den nächsten Shit-Storm, der über sie hereinbrechen könnte. Existentielle Katastrophen? Hä? Was ist das denn? Lass mich doch bitte in Ruh mit so ’nem Quatsch, ja!? Alter!
Oh, nun ist der Schreiber dieser Zeilen ins Unsachliche abgerutscht, na so was! Kehren wir schleunigst zurück zum sachlichen Berichterstatter über den „Islam in Deutschland“. Wo waren wir stehen geblieben? Genau. Nicht viel weiter vom letzten Zitat stehen folgende sachlichen Sätze:
‚Im Islamunterricht geht es immer darum, was man als guter Muslim darf und was nicht,
was falsch ist und was richtig. Die Lehrer sind noch jung, aber sie wissen genau, wo die
Grenze verläuft. Es ist nicht ihr eigenes Wissen. Es sind uralte Formeln, die sie als Kin-
der auswendig gelernt haben und nun an die nächsten Kinder weitergeben.‘
Gut. Vielleicht noch ein einziger weiterer Absatz aus diesem Artikel, der einem das Brunch am Sonntag so richtig versüßen soll:
„Wenn die Kinder den Islamunterricht absolviert haben, wechseln sie in die Jugendgruppen,
später in den Studentenkreis oder in die Gruppe für junge Frauen…, dann in die „Eltern-
Akademie“. Jeder Schritt ist genau vorgegeben. Die Gruppen sind wie Umarmungen, eng
und intensiv. Jeder in der Moschee steckt jederzeit in einer solchen Umarmung. Es gibt
keine Lücken, keinen Moment der Schwebe. Keiner ist jemals allein.‘
So gesehen gehört der Islam wirklich zu Deutschland, denn an jedem Tag sind diese Abläufe Teil des deutschen Alltags von Moslems in Deutschland.
Am besten, jeder, der inzwischen Interesses am Thema entwickelt hat, sollte den gesamten Artikel lesen. Zitate sind eben immer nur Zitate – losgelöste Eisschollen, die in alle Richtungen driften können – also genug der Zitate.
Vielleicht wäre es nützlicher, nicht über den Unterricht kleiner Kinder in den Moscheen zu rechten, weil er mit den Mindeststandards der Curricula deutscher Schulen nicht in Einklang zu bringen sei, sondern stattdessen darüber nachzudenken, woran es eigentlich unseren deutschen Kinder mangelt in diesen Tagen im Vergleich zu den Glücksgefühlen, die in den Augen dieser Kinder zu sehen sind, die nachmittags fröhlich quietschend ihre Moschee verlassen. Selbst nach einem Kindergeburtstag deutscher Provenienz steht das gefeierte Kind doch wohl recht erschöpft, allein und ratlos da. Von Glück kann keine Rede sein. Höchstens von Erleichterung, weil alle Geschenke, die die Eltern kaufen sollten, auch wirklich anlandeten. Aber Glück? Könnte es nicht sein, dass wir voller Inbrunst rufen „Haltet den Dieb!“ um von dem Gestohlenen abzulenken, das unseren Kindern – und nicht nur denen – tagtäglich zu fehlen scheint? Dass wir dieser immer selbstverständlicheren Präsenz des Islams in Deutschland so unwirsch begegnen? Weil wir lieber den Splitter im Auge des Moslems groß beleuchten, als den Balken im eigenen wahrnehmen zu müssen? („Gehört zu Deutschland? Was ist das denn für ein blöder Satz? Was zu Deutschland gehört, muss ja wohl was mit den Deutschen zu tun haben, und Deutsche haben wohl eher etwas mit Europa am Hut oder mit Friesen zum Beispiel, als mit östlichen Religionsangeboten – wobei es natürlich richtig dumm gelaufen ist, dass das christliche Angebot, soweit es überhaupt noch angenommen wird, auch aus dem Osten nach Westen eingesickert ist…“)
Was haben wir Deutschen denn zu bewahren? Zu konservieren? Neulich konnte man folgendes Bonmot mal wieder lesen: „Wer vergisst, wer er war, hat keine Zukunft.“ Wenn an so einem Satz auch nur ein Körnchen Wahrheit sein sollte, dann müsste der Leser zugeben, dass Muslime in Deutschland wohl eine Zukunft haben, weil sie wissen, wer sie waren, während ein Deutscher eher passen müsste, weil er gar nicht mehr wissen will, wer er war. Er will jetzt einfach nur sein. Basta.