Europa – Meditation # 349
„Wir erleben eine Zeitenwende“ (Olaf Scholz)
Das war im Februar, im Bundestag, also sozusagen ex cathedra diese kurze Parataxe per Mikrofon und bundesweit viral vervielfacht bescheiden in die Welt hallte und seitdem in einem Dauerton echot und echot.
Und der Olaf Scholz setzt sogar noch einen obendrauf: das bedeute,
„die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“
Was für eine Plattitüde, was für ein leer drehender Satz, was für eine selbstverständliche Erfahrung eines jeden von uns seit jeher!
Ähnlich pathetisch formulierte Sätze gab es auch 1914 „Wir sind umgeben von einer Welt von Feinden!“ und 1933 „Jetzt beginnt einen neue Epoche!“ und 1990 „Ein Geschenk der Sieger an die Besiegten“ oder 2001 „Der Kampf gegen den großen Leviathan – das Böse hat seine Fratze gezeigt“ oder auch 1949 „Wer noch einmal eine Waffe in die Hand nimmt“, hatte Franz Josef Strauß 1949 gesagt, „dem soll die Hand abfallen.“ (Später wird er dann gerne Verteidigungsminister)
Da das Chaos der Wirklichkeit – oder das, was wir dafür halten – zu schnell und zu opulent die Zeit im Dauer-Würge-Griff hält, versuchen die Erdlinge dem Augenblick trotzig Dauer zu verleihen und erfinden so ein Narrativ nach dem anderen, das es denkend ermöglichen soll, mit Hilfe aufwendiger Erzählungen und Bilder nicht nur Ordnung, Übersicht und Gewissheiten zu schaffen, sondern auch dem Tempo des Seins machtvoll in den Arm zu fallen und zum Stillstand zu zwingen. Scheinbar.
Dass aber ein ernst zu nehmender Vertreter der repräsentativen Demokratie, ein Vertreter der Exekutive, solche Leerformeln bemüht, um 100 Milliarden Euro für Aufrüstung aus dem Hut zu zaubern, macht schon zumindest nachdenklich. Oder?
Als sei ein Moment vom Himmel gefallen – wie ein Meteorit – der bisher tabuisiertes politisches Handeln sozusagen zwangsweise zwingend notwendig macht. Dem lässt sich keine Gegenrede entgegen halten, dem lässt sich nur patriotisch zustimmen:
„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“ 1914
Oh, pardon, da ist der Schreiber unversehens in die falsche Schublade geraten, hat sich mehr oder weniger um ein Jahrhundert vertan. Kann ja passieren – bei diesem Tempo – die Abwesenheit von zutreffender Wirklichkeitsbeschreibung ist aber damals wie heute nüchtern zu konstatieren.
Als mündige Bürger sollten wir uns 2022 einfach nicht mehr mit solch kindlichen Sätzchen abspeisen lassen. Putler hin, Putler her.