Europa – Meditation # 350
Kommt Krieg auf leisen Sohlen – oder mit Pauken und Trompeten?
Krieg und Frieden. Jede Generation kann sich da die widersprüchlichsten Geschichten erzählen, immer steht man selbst auf der Seite der Guten, die anderen sind meistens die Bösen – schon immer. Hab ich doch gewusst. Sag ich doch schon immer.
Rückblickend zeigt sich in Europa jedoch ein eigenartiges „Phänomen“: im Nachhinein pflegen die Zeitgenossen zu sagen: „Da hat doch keiner mit gerechnet, das kam für uns wie aus heiterstem Himmel.“
Wenn man allerdings genauer auf dieses „das“ schaut, dann war in allen nationalen, wie internationalen Krisen die Zeit vor dem Kriegsausbruch sehr wohl als Pulverfass zu erkennen.
Das war 1870 so – die Emser Depesche ist da nur der letzte Tropfen auf einem heißen Stein. Es war keine Überraschung. Im Nachhinein – wohl vor allem um die eigene Position rein zu waschen – ist es der „Feind“, der provoziert hat.
Das war 1914 so – das Attentat von Sarajewo ist da nur der vorletzte Tropfen auf den heißen Stein. Es war überhaupt keine Überraschung. Die Option Krieg war nicht nur in den Medien weit vor 1914 sehr gesellschaftsfähig.
Das war 1939 so – die Sudetenkrise ist da nur einer der vielen Tropfen auf einem glühenden Stein. Der Überfall auf Polen reißt die Sommergäste an Ost- und Nordsee zwar aus Revanche-Phantasien für 1918 unsanft heraus, aber das Kriegsvokabular war nicht nur in den Medien en vogue.
Das war 1992 so – die Serben in Belgrad schütten da nur einen weiteren Tropfen auf den heißen Stein. Selbst für die UN ist der Krieg in Bosnien-Herzogowina keine Überraschung und der Sebrenica-Genocid im Kriegsgeschrei schon fast herauszuhören.
Das war 2001 so – als die Amerikaner in Afghanistan eine sogenannte „Intervention“ anführen, um den Islamismus „an der Wurzel“ zu bekämpfen und westliche politische Werte zu importieren. (Wie nannte Putin seine Intervention in der Ukraine? „Militärische Spezial-Operation“) – seit 2014 brodelte da schon der Konflikt zwischen Kiew und Moskau.
Das war 2003 so – als die Amerikaner ihre große „-Befreiungs-Kriegs-Walze“ in Gang setzen, zusammen mit einer „Koalition der Willigen“, um den Irak von einem Diktator zu erlösen und die Segnungen westlicher Demokratien einzuführen
Das ist 2022 so – als die ehemaligen Verbündeten im 2. Weltkrieg, die unversöhnlichen Gegnern im Kalten Krieg, Russland und Amerika, nach 1989 fast auf dem Weg zu Bündnispartnern, nun erneut unversöhnliche Gegner sind, für die die Option Krieg eine unter anderen ist – mit und ohne A-Waffen.
Die ideologischen Scheuklappen sollten den Zeitgenossen nicht die Augen vor der drohenden Gefahr verschließen, denn sie ist durchaus real. Also genau hinschauen und hinhören, Frieden ist harte und bewusste Arbeit!