12 Mai

Europa – Meditation # 449

Die zerbröselnde Zeit – als Augenblick wie zeitlos.
Europa hat mit Hilfe der Schrift ihr Denken fleißig weiter gegeben, von Jahrhundert zu Jahrhundert. Auch die über die Vergänglichkeit von allem. Epikur und Epiktet können ein Lied davon singen, das kluge Köpfe immer wieder angestimmt haben. Umsonst. Gerade tut die species homo sapiens sapiens so, als sei sie am Ende dieser Geschichten angelangt, habe endgültig dem Werden und Vergehen Einhalt geboten, sie seien Herr des Geschehens: Dabei ist es ihnen nur gelungen, die Veränderungen scheinbar so zu beschleunigen, dass unsere Sinne – berauscht und benebelt ob der atenberaubenden Geschwindigkeit – das so flüchtig Wahrgenommene für festen Gund zu halten gerne bereit sind.
In einem soeben erschienenen Unterhaltungsroman ist Entsprechendes zu lesen, als wäre es ein Kochrezept: „Die Dinge, die in dieser Welt unveränderlich scheinen, mein Kind, Berge, Wohlstand, Kaiserreiche, ihre Beständigkeit ist nichts als eine Illusion. Wir glauben, dass die Dinge immer weiter bestehen bleiben, doch das liegt nur daran, dass unsere Leben so kurz sind…“ (S. 154 Wolkenkuckucksland. Roman btb 2023 von Anthony Doerr). In diesem fiktiven Narrativ geht es um die Belagerung von Konstantinopel, das seit 1453 Istambul heißt: „DIE STADT“. Ob Paris, Berlin oder Kopenhagen, ameisengleich bauen sie an bröselnden Türmen umsonst und versuchen die übergroßen Vorbilder zu kopieren.
Ein Tyrann wie der Nitup oder ein Clown wie der Trampel sind genauso flüchtig wie große Bündnisse oder todbringende Gerätschaften, die sich der menschliche Geist auszudenken versteht, um seine eigenen Werke vor der Zeit wieder zu zerstören. Die neuesten Spielzeuge, die der homo sapiens sapiens erfunden hat, könnten auch seine letzten sein. Denn sie haben das Zeug dazu, den bereits verinnerlichten Selbstbetrug noch zu toppen. Zumal nun auch bereits die Jüngsten mit in diesen schwindlig machenden Strudel gerissen werden. Elteren haben längst resigniert: Dem Geschrei der Kleinen ist nur noch eine Ende zu setzen, wenn man ihnen die nächsten Spiele oder Filme doch noch zugesteht. Bis die Süßen übermüdet wegdämmeren. Die sogenannten „großen Fünf“ beherrschen nicht nur die Trends an den Börsen, nein, sie haben auch die Europäer längst mit im Sack; von Rüstungsprodukten bis zum kleinsten schnurlosen Monitörchen. Und auf alle wirkt es so, als sei es eine Hilfe, mache das Leben bequemer und schaffe Freiräume für kreatives, eigenes Schaffen.
Die müden Blicke auf die Bildschirme verundeutlichen auf zauberhafte Weise die Wahrnehmung von sich und der Welt – panem et circenses hieß es früher einmal – jetzt spricht man von non-stop-day-and-night-program –
Wir Europäer haben uns nachhaltig umstellen lassen von englischen Einflüsterungen und Bilderfluten, der Brexit ist dabei genauso unterhaltend und eine Lügengeschichte wie die Hymnen auf die Freiheit, wenn es um gemeinsame Drohgesten und Aufrüstungen gegen alle geht, damit wir alle weiter im Hamsterrad des Konsumierens und der Wachstumsbotschaft vor uns hin dilirieren. Längst ist es uns zur Gewohnheit geworden, Bilder von Ballspielen vor einer brüllenden Horde von ausrastenden Menschen ohne jeden Übergang an solche von Kriegsschauplätzen mit all ihrem Leid und wahnsinnigen Zerstörungsfuror anzuschließen, umrandet von Flutkatastrophen oder Feuersbrünsten, als wären es Filme und nicht gleichzeitig stattfindende, mörderische Realitäten. Rückblicke zu den letzten Kriegen wirken demgegenüber wie Vorgeplänkel, die weinenden Mütter und Kinder damals wie heute führen nach wie vor nicht zu der alles entscheidenden Einsicht: Umsonst, Lüge, Leid, Tod -sonst nichts. Dass der Drogenkonsum in Europa weiter zunimmt – wen wundert es eigentlich? Die Medien berichten auch über diesen Trend wie über eine Wetterkarte, die lediglich natürliche Vorgänge abbilde, sonst nichts.
Und in den social media werden die Kommentare kürzer und kürzer, weil schon der nächste klick bedient werden will. Sonst nichts.

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