Europa – Meditation # 456
Zwei völlig artfremde Überforderungen des Homo Sapiens sapiens. (Teil 1)
Natürlich könnte man in Dauerschleife dieses sapiens, sapiens, sapiens („weise, weise, weise!“) zu einem beschwörenden Raunen jedem Haushalt frei Haus als Gott der Wiederholung einspeisen, damit er – Goebbels hatte es in den USA als Werbe-Axiom zu bewundern und zu kopieren gelernt – leichter daran glauben kann. Doch die Ergebnisse seiner Weisheiten – Fließbandproduktion und Überschall-Passagier-Flugzeuge blenden nur mit Menge oder mit Geschwindigkeit, nicht aber schuf er sich Sinnfülle damit, nach der er sich so sehnt.
Damit nun aber diese verfehlten Anstrengungen nicht als verfehlt betrachtet werden müssen, badet der homo sapiens sapiens nachhaltig in Unterhaltungsformaten, die ihm beim Selbstbetrug schön trösten sollen. Das tun sie auch nach Kräften. Bestes Beispiel: der derzeitige Sommer. EM, Olympia, Tour de France und Wimbledon dürfen sich Tag und Nacht ordentlich wichtig tun. Denn untröstlich könnte er gleichzeitig genauso werden. Beste Beispiele: Der Plastikmüll in den Meeren, die schmilzenden Gletscher, die riesige Schere im Portemonnaie der wenigen Gewinner (von Rheinmetall wollen wir lieber schweigen) und der allzu vielen Verlierer weltweit (das gestrige Wahlergebnis in Großbritannien könnte sicher gut als Beispiel dafür dienen), die zunehmende Abfolge von Überschwemmungen und Waldbränden. Die Liste ließe sich leicht verlängern. Aber wie gesagt: Mengen und Geschwindigkeiten sind eher Pappkameraden als wirkliche Zuwächse an Lebensqualität. Doch wie vom Trampel aus Amerika wird auch hierzulande von verbindlicheren Schreihälsen die frohe Botschaft verkündet: alles nicht so schlimm und schuld sind sowie so die „Grünen“. Beinahe wären den Besserwissern doch glatt das Feindbild abhanden gekommen, nachdem das kommunistische Konzept krachend baden gegangen war. Aber die „Grünen“ genügen ihnen als Platzhalter des Bösen.
Gleichzeitig haben kriegerische Gewalt und männliche Übergriffigkeit, um es einmal euphemistisch zu umschreiben, nichts von ihrer uralten Gefühlskälte verloren. Dass dann auch noch spitzfindige Paragraphenhengste Priester aus dem Rennen nehmen können, sie sind ja wie alle Arbeitnehmer nur von morgens sieben bis abends fünf im Job(!), lässt sicher viele Täter klammheimlich bösartig grinsen. Die Triebe lassen sich einfach nicht unter Kontrolle bringen, da ist es nur günstig, weiter im Patriarchat vor sich hin zu dümpeln, drüber eine zuckrige Lasur von zivilisatorischer Wohlanständigkeit gelegt. Allein schon das allmähliche Verschwinden jedweder Verbindlichkeit im öffentlichen Raum macht dagegen allzu deutlich klar, dass die soziale Seite des homo sapiens sapiens mehr und mehr zu einer bloßen Plakatwand schrumpft – als wären wir alle auf einem launigen Segeltörn à la Truman Show; es dauert nicht mehr lange, bis wir gegen die Wand knallen und unliebsam aus unserem frustrierenden Konsumschlaf erwachen.
Sinnvoller wäre es allemal aber, schon jetzt die großen Mengen an Gütern und die Beschleunigungseuphorien wie von gestern aussehen zu lassen. Denn für morgen wird eh nur noch die kleine Menge und das Fahrrad – ohne Elektromotor natürlich – eine Perspektive des globalen Überlebens sein. Und dass der „Rufer in der Wüste“ natürlich ausgelacht wird, versteht sich von selbst. Leider hört sich dieses Lachen aber nur wie ein grässliches Krächzen an, das von der eigenen Ratlosigkeit mit viel Lärm ablenken soll, denn der homo sapiens sapiens ist mit seinen bisherigen Mustern – amazonisch-globale Sofortmengen im Höchstbeschleunigungsformat – am Ende mit seinem Latein.