Europa – Fortsetzung der alten Geschichte Nr. 179
Die alten Männer einigen sich auf den perfiden Plan des Fremden Suezzos.
Der Zorn auf Europa, die Regentin im Palast des Minos, und ihre beiden Söhne steht den Ratsherren schroff ins Gesicht geschrieben: Warum sind sie bei dem Sturm nicht alle ertrunken, warum geben die in Sidon denen ein neues Schiff, warum steht die große Göttin nicht auf ihrer Seite, warum…? Zeus hält sich in der Runde vorerst vornehm zurück. Sein Moment wird schon noch kommen, da ist er sich ziemlich sicher.
Gleich meldet sich Pallnemvus, Ratsherr und reichster Mann auf der Insel, zu Wort:
„Werte Ratsherren! Die Zeit läuft uns davon! Weitere Misserfolge können wir uns nicht leisten. Meine Handelspartner in Ägypten wollen nicht mit einer Frau verhandeln müssen!“
„Hört, hört!“ So tönt es reihum, man nickt, wiegt besorgt die Köpfe, schaut erwartungsvoll auf den Gast, den niemand zu kennen scheint. Zwei Sklavinnen gehen von Platz zu Platz und schenken Wein nach. Brot steht sowieso bereit. Man bedient sich, kostet ja nichts. Das zahlt alles der Palast. Schließlich ist der Rat der Alten nach dem Minos die wichtigste Instanz auf Kreta – neben der Hohepriesterin Chandaraissa. Pallnemvus kommt in Fahrt:
„Chandaraissa steht auf Europas Seite, mit ihr können wir nicht rechnen. Aber bis zum bevorstehenden Regierungsantritt von Parsephon und Sadamanthys müssen wir Abhilfe geschaffen haben!“
Beifall von allen Seiten. Jetzt sieht Zeus seine Chance gekommen. Er hebt seinen Arm, er will also das Wort. Man ist erstaunt. Aber gut, Kreter sind Fremden gegenüber immer zuvorkommend. Berberdus, der Vorsitzende, gibt Zeus zu verstehen, dass er das Wort habe. Pallnemvus in großer Geste:
„Bitte! Wir hören!“
Neugierig richten sich sofort die Blicke der alten Männer auf den Fremden. Was wird er beisteuern können? Zeus lächelt dankbar, erhebt sich bedächtig und beginnt dann seine wohlüberlegte Rede:
„ Danke, meine Herren, danke, dass ich in dieser hehren Runde sprechen darf.“
Die Ratsherren antworten mit gönnerischen Gesten und freundlicher Mimik. Nur zu, nur zu, soll das wohl heißen.
„Ich bin ein Wanderer zwischen den Welten und war erst neulich wieder auf dem Berg Ida, habe bei einem Unwetter – ihr erinnert euch an die Blitze und den Donner? – in der Zeus-Höhle Zuflucht gesucht.“
Gromdas und Zygmontis grinsen breit. Schließlich haben sie dort schön öfters kleine Orgien gefeiert. Da fährt aber der Fremde – wie hieß er doch gleich? Suezzos oder so ähnlich – schon fort mit seiner unterhaltsamen Geschichte:
„Der Regen war so heftig, dass es wie ein reißender Gebirgsbach war, was da in die Höhle hinab schoss. Und dann passierte es auch schon: krachend gab der Boden nach und das Wasser strudelte in ein tiefes, tiefes Loch – direkt vor mir!“
Die alten Männer halten den Atem an. Was für ein Unglück! Doch bevor sie Fragen stellen können, fährt der Fremde auch schon fort:
„Da müsste man nur ein paar Äste und Zweige drüber legen. Beim nächsten Besuch der Regentin und ihrer beiden Söhne zu Ehren des Zeus könnte es da zu einem tragischen Unfall kommen.“
Zeus bricht seinen Bericht an dieser Stelle einfach ab, setzt sich und genießt die Wirkung, die seine kurze Rede im Saal erzeugt. Leichenstille. Lange. Schwere Atemzüge. Dann wechselt man einfach das Thema, behandelt aber den Fremden besonders zuvorkommend. Zum Glück waren die beiden Sklavinnen gerade nicht im Raum gewesen, sie holten neuen Wein. Es gibt also keine Mitwisser. Das ist den Ratsherren natürlich wichtig. Aber sie wissen auch sofort, was jetzt zu tun ist. Keltberias und Collchades wollen sich um die Einzelheiten kümmern. Die Losung heißt: „Geburtstagsfeier“. Schließlich soll ja Zeus in dieser Höhle zur Welt gekommen sein, so wird es jedenfalls in den alten Mythen erzählt.
Dann palavert man noch über neue Zölle, neue Abgaben, neue Strafen. Alltag eben. Und der Fremde wird mit ausgesuchter Höflichkeit verabschiedet. Man schätzt sich.