28 Jan.

Europa – Meditation Nr. 484

Selbstbetrugssaltos im Labyrinth der Sprache.

Am Beispiel der Erinnerung an den Krieg der Nato in Afghanistan.

Ein Lehrstück aus dem Alltag einer repräsentativen Demokratie: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan: Treu an der Seite des schlimm getroffenen Verbündeten wollte man nicht nur Solidarität zeigen, sondern natürlich auch Kompetenz.

1. Das Parlament billigte in großer emphatischer Debatte den Einsatz. Menschen und Material wurde verschifft und per Luftfracht befördert. Ein großes Unternehmen, das nach innen Stolz und Stärke signalisieren sollte.

2. Ein langer Atem musste immer wieder eingefordert werden. Denn der Feind war ein heimtückischer und widerborstiger, wenn auch technologisch und strategisch weit unterlegen.

3. Wir, die medial jeweils auf dem neuesten Stand kommentierenden kritischen Begleiter des teuren Einsatzes, hatten bald die ersten Toten zu beklagen. Bald kamen auch schon die ersten traumatisierten Soldaten zurück. Aber man wollte keine Schwäche zeigen, man wollte das große Unternehmen nicht in Frage stellen. Schließlich sollte die „Truppe“ aus der Heimat nur positive Stimmen zu hören bekommen. Die Kritik wurde ins Feuilleton verlagert, bei den blasierten Akademikern, die sowieso keine Ahnung vom Alltag vor Ort hätten.

4. Mehr als zwanzig Jahre später legt nun die „Enquete-Kommission“ – bestehend aus zweiundzwanzig Parlamentariern – ihren Bericht vor, in dem die Erfolglosigkeit des Afghanistan-Projekts offen gelegt wird, die in der sensationellen Schlussfolgerung gipfelt: „In Zukunft solle man sich vor Einsatz-Entscheidung ein realistisches politisch-militärisches Lagebild machen und ein realistisches Konfliktverständnis zugrunde legen“. Ein wirklich beeindruckendes Fazit hat da die sicher sehr kompetente „Enquete-Kommission“ vorgelegt. Lange Sitzungen, heftige Debatten, umstrittene Zwischenpapiere und heiße Abstimmungen bilden den selbstverständlichen Hintergrund dieser markanten Expertise.

In einem Zeitungsartikel vom Tage (GA) heißt es dann lapidar: „Im Grunde wurde der Einsatz schon von Anfang an falsch konzipiert.“ Hört, hört!

Dabei ist das Fazit nichts weiter als eine peinliche Banalität, für die man nun wirklich nicht die „man- and-women-power“ wochenlanger Ausschuss-Sitzungen benötigt hätte. Denn dass man vor dem Start eines so schwergewichtigen Unterfangens wie dem Auslandseinsatz der BW sich ein angemessenes Bild von der Lage machen sollte, ist doch solch eine Selbstverständlichkeit, dass man sich als Steuer zahlender Mitbürger fragen muss: An wen haben wir da eigentlich unser Vertrauen delegiert?

Und wieder wird deutlich, wie sehr wir uns mit Hilfe von beeindruckenden Sprachpyramiden mutwillig die eigene Sicht verstellen, verbale potemkinsche Dörfer aufpoppen lassen – home-made, versteht sich – über die wir uns dann hinterher fürchterlich aufregen. Wie ein piepender Hamster im seinem laut quietschenden Laufrad. Much ado about nothing, könnte man in Anlehnung an William Shakespeare sagen. Wenn es nicht so traurig wäre: 66 Tote sind zu beklagen, sie können sich nicht mehr wehren gegen diese Wörterpappkameraden.

„Enquete-Kommission-realistisches politisch-militärisches Lagebild-zwölfköpfiges-Gremium-mehr-als zwanzig-Jahre…“

Haben wir uns denn eigentlich auch ein realistisches politisch-militärisches Lagebild von der Ukraine gemacht?

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