27 Jan

Europa – Mythos # 26

Endlich werden sich Europa und Chandaraissa treffen! Denn Zeus, Hades und Poseidon haben einen üblen Schwur getan, der nicht nur den beiden Frauen noch viel Kummer bereiten soll. Doch davon später mehr.

In meinen Tagträumen habe ich sie schon so oft gesehen. Jedes mal sah sie anders aus. Jedes mal war es die Lebensfreude, die sie unbändig auszustrahlen wusste. Jedes mal murmelte ich wie selbstverständlich: Meine Freundin, komm! Jetzt sehe ich sie, spüre die Freude und flüstere nur ganz leise: Komm, meine Freundin, komm!

Die vier Priesterinnen horchen auf. Fast wären sie im Morgengrauen eingeschlafen. Aber der Hohenpriesterin Stimme holt sie sanft aus ihren Träumen. Möwengeschrei hält leicht dagegen. Eine frühe Brise beflügelt die wilde Schar. Wo schaut sie denn hin? Weder Wolken, noch Wellen rühren sie, nein, eine fremde Gestalt hält ihren Blick gefangen. Schnell werfen sie Holz nach ins Feuer, huschen aus dem Dämmerlicht der Höhle in den jungen noch so müden Tag und eilen der Frau entgegen.

Europa staunt. Dieser Morgen schmeichelt ihr mit all seinen zerbrechlichen Waffen: Dem jungen Licht, dem leichten Wind, dem salzigen Duft der Luft und dem endlosen Blau von Himmel und Meer. Jetzt bemerkt sie die vier kleinen Gestalten. Als wären sie von magischer Hand ins Bild gemalt worden; vier feine, fließende Bewegungen. Daraus werden laufende Frauen in wehenden Gewändern. Jede in einem anderen leichtfüßigen Schwung. Träume ich? Sicherlich.

Kilcho, Lade, Sarsa und Belursi kichern, jauchzen, winken jetzt sogar. Endlich erleben sie wieder solch einen Augenblick, von dem Chandaraissa so oft erzählt. „Es gibt sie wirklich, glaubt mir, sie kommen immer wieder. Gerade, wenn wir sie am wenigsten erwarten; sie lassen unser Herz und unser Blut in Wallung geraten, als wären wir von Sinnen.“ Sprachlos lauschten die vier solchen Prophezeiungen hinterher, mit offenem Mund und angehaltenem Atem. Ob das jetzt so ein Augenblick ist? Das Lächeln ihrer Herrin schien es zu verraten. Aber was hatte sie geflüstert? Zu dumm aber auch, dass sie eingenickt waren. Hätte sie nicht früher oder später kommen können, die fremde Frau? Ganz außer Atem laufen sie auf sie zu. Kilcho hält plötzlich an; Lade, Sarsa und Belursi stolpern fast über sie.

„Hey, was soll das?“

Schnaufend stemmt Kilcho ihre Fäuste in die Hüften:

„Was soll das, was soll das? Denkt doch selber mal nach, ihr drei!“

„Hä?“

„Ja, habt ihr denn eine Idee, was wir der Fremden sagen sollen?“

Betretenes Schweigen. Schnaufen im Chor zu viert. Oh je, ist das peinlich. Als sie sich ratlos in die Augen schauen, müssen sie schließlich prusten und lautlos in sich hinein lachen. Kein Rat, nirgends. Eine Schar Möwen über ihnen kreischen stattdessen vielstimmig durcheinander. Denen fehlt es nicht an Stimme, Botschaft und Ratschlägen, scheint es den Vieren.

Eben noch sah es so aus, als wollten die vier zu mir laufen, denkt Europa. Aber warum bleiben sie jetzt stehen, drehen mir den Rücken zu? Vielleicht haben sie mich gerade erst entdeckt und wissen nun nicht, was sie tun sollen. Ich werde ihnen einfach entgegen gehen und sie fragen, ob sie mich zur Hohenpriesterin führen können.

Chandaraissa tritt aus dem Schatten der Höhle in das ihr entgegenkommende Morgensonnenlicht. Schützend hält sie eine Hand über ihre Augen. Ihre vier Priesterinnen halten gerade eine kleine Ratsversammlung ab, sie tuscheln miteinander. Sicher sprechen sie sich gerade ab, wer was wie sagen soll. Dabei müssen sie doch gar nichts sagen. Die Fremde wird ihnen lächelnd die Worte in den Mund legen, die sie jetzt noch gar nicht kennen. Die Göttin hat mich diesmal lange warten lassen, bis sie wieder jemanden zu mir schickt. Aber es ist ein guter Morgen für ein neues Abenteuer der Leidenschaft und Lebensfreude. Ich bin bereit dazu! Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück weiter zu geben.

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