Europa – Meditation Nr. 501

Europa – ein Festival gemeinsamer Anstrengungen im WIR.
Der Ego-Trip, der Narziss, perdu – Individualismus und Egoismus, die siamesischen Zwillinge der cartesianischen Welterlösungspleite – verkommt zur Trampiade, denn die damit verbundene Selbstisolierung ist sowas von widernatürlich, dass sie außer teuren Spiegelkabinetten und noch teuereren Psychoanalysestunden und Dagobert-Duck-Geldschwimmbädern keinerlei Lebensfreude oder gar Glücksmomente zu erzeugen vermag.
Die philosophische Wegbereitung dieser mutwilligen, geistigen Verirrung geht zurück auf die Flucht nach vorne, als sich die gegängelten Menschen nicht länger von einem Weltbild antreiben lassen wollten, sondern Gott und die Welt endlich als das erleben wollten, was sie sind: eine unüberschaubare Vielfalt an Varianten, die sich jedweder Vereinnahmung in eine Monokultur per naturam verweigert, die aber – wie in einem salto mortale – in rein quantifizierenden Mustern zu üppiger Blüte gebracht werden sollte.
Nun – nach knapp dreihundert Jährchen – sind nicht nur die Philosophen ratlos in der Zirkuskuppel, sondern auch die Zuschauer in der Manege: trotz intellektueller Schwerstarbeit, trotz dialektischer Kapriolen, trotz provokantester Übertreibung sind die Menschen genauso klug wie zuvor. Denn bei aller Neuheit der verzaubernden Denkangebote blieben die seit der frühen Kulturen im Zweistromland erdachten patriarchalischen Monismen – Monotheismus, Monogamie, Monarchie – beinhart erhalten; und nicht nur zum Schaden der Frauen, by the way. Der langatmige Fernsehfilm, der gerade für Millionen Zuschauer aus dem Vatikan ausgestrahlt wurde, ist nur eine weiteres Beispiel für dieses Leichtgewicht an spukigem Gebrabbel über einen heiligen Vogel und seine blutigen Brotkrumen, die einen ehemaligen naiven Wanderprediger aus Palästina als Hokuspokus-Wiedergänger durch Zeit und Raum – schwupp-di-wupp – auf den Petersplatz zu zaubern verspricht. Auf einem Meeting alter Männer im Jahre 325 zu Nicäa war nämlich nach heißer Debatte mehrheitllich beschlossen worden, dass es diesen neuen Turbo-Gott gleich in dreifacher Ausfertigung geben sollte – wer dem widersprach galt als Ketzer und durfte verfolgt werden. Daran halten alte Männer in hübschen Kleidern und eigenartigen Mützen – erinnern ein bisschen an die der Priester des Mithras-Kultes – bis heute feste fest. Europa hatte da ihre gewaltsame Entführung auf dem Rücken eines weißen Stiers bereits hinter sich – die zwar die weitsichtige genannt wird, deren Weitsicht allerdings erst jetzt zum Tragen kommen könnte.
Denn in diesen Tagen widerfährt ihr so etwas wie eine zweite Geburt, der weitsichtigen Europa: ihre Jugend verbrachte sie nämlich in völliger Abhängigkeit von den Europäern, die nach Übersee geflohen waren, um dort ein sogenanntes neues Jerusalem aufzubauen. Das dauerte zwar, ist jetzt aber als Bruchbude mit einem Witzbold als Barkeeper in die Jahre gekommen, von dem sich die Europäer nun aber gerne abnabeln, denn so dumm kann man ja gar nicht sein wie der. Von dem will doch keiner auch nur einen Tag abhängig sein. Der quasselt jede Stunde was Neues, freut sich über seine follower, die hoffen, dabei auch etwas zu verdienen, und weiß am nächsten Tag schon nicht mehr, was er am Vortag leichtfertig versprochen hat. Das Tempo ist auf seiner Seite. Da bleibt einfach keine Zeit, auf Schwachstellen aufmerksam zu machen. Da müssen seine Leute nun mal durch.
Die zweite Geburt der Europa in all ihrer Vielfalt lässt sich in einem kurzen Satz zusammenfassen: GEMEINSAM SIND WIR STARK.
Das W I R ist die starke Antwort auf das schwächelnde ICH, das im Namen der sogenannten Aufklärung als Königsweg in die Selbstbefreiung antrat und krachend scheiterte.
Das W I R sonnt sich nun in der Vielfalt europäischer Kulturen und Traditionen, die alle an einem Strang ziehen können und wollen: Unabhängig, frei und stark der Welt zeigen, dass jenseits des Patriarchats und jenseits des kalten Materialismus ein arbeitsames Leben als gemeinsame Anstrengung zum Wohle aller möglich ist.