15 Dez.

Europa – Meditation # 429

Gewohnheiten walzen wie immer Utopien nieder.

Das Auto ist nicht nur in Europa, wo es erfunden wurde, der Fetisch schlechthin, es ist auch im Bewusstsein der meisten längst so etwas wie natürlich, so selbstverständlich, dass eine Debatte über den Individualverkehr natürlich gleich hysterische Brunftschreie – vor allem der Männer – freisetzt. Nachdenken wird so von vornherein verunmöglicht. Außerdem hat die Gewohnheit in Sachen Auto – Straßennetze, Lärm, Gestank, Stau, kolossale Parkhäuser, verstopfte Einbahnstraßen – die Phantasie längst in ihrem Spielraum stranguliert: geknebelt, geknechtet, gedemütigt – so liegt die Phantasie am Boden, weil Mobilität „nur noch“ so scheinbar gedacht werden kann, wie diese agile Metallkiste es zulässt.

Von der Tod bringenden Gewalt ganz zu schweigen.

Hier aber soll noch einmal anhand von zwei zu Herzen gehenden Beispielen aus Deutschland – wo Mercedes, BMW, Audi und VW die Götzen sind, die um jeden Preis angebetet werden müssen – anschaulich verdeutlicht werden, zu welchen hirnrissigen Folgen dieser Fetisch die Männer treibt:

1. Beispiel – Verkehrsunfall auf der Bundesautobahn 5 im Juli 2003

Die 21-jährige Mutter und ihre zweijährige Tochter verstarben noch an der Unfallstelle. Zeugenaussagen zufolge war unmittelbar vor dem Kontrollverlust ein dunkles Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit dicht auf das Fahrzeug der Verunglückten aufgefahren.

Umtobt von den fürchterlichen Kriegen der Gegenwart scheint der Hinweis auf die von einem Testfahrer verursachte Tötung einer Mutter und ihrer zweijährigen Tochter nicht der Rede wert.

2. Beispiel – Genauso wie der gewaltsame Tod auf der 555 erst vor einigen Tagen, als ebenfalls eine Mutter (49) mit ihrer Tochter (23) bei einem Wettrennen von zwei spätpubertierenden Bubis – Nachwuchskicker beim 1.FC-Köln – in ihrem Kleinwagen verbrannten, weil sie wohl den jungen Männern im Weg waren – auf gerader Strecke…

Vier Frauen, die heute noch leben könnten, wenn nicht…ja, wenn nicht was?

Wenn nicht die Pandora in ihrer Büchse dieses fatale Geschenk („nimm nur, es ist ein wunderbares Spielzeug, mehr nicht!“) gehabt hätte, das eben nicht nur unsere Beweglichkeit so unglaublich unterstützt, sondern auch u.a. uns ein weiteres Instrument zum Töten liefert. Die Zahl der Verkehrstoten ist zwar dramatisch zurückgegangen – vor fünfzig Jahren waren es noch 18000 – 1990 mehr als 10000 – jetzt sind es „nur“ mehr als 2000 Tote.

Dabei gibt es genügend Beispiele auf der Welt, wie man den Individualverkehr ersetzen kann durch klügere, kostengünstigere, ungefährlichere Fortbewegungsweise. Stichworte wie Cable-Cars oder Gondeln wären nur zwei, die echte Alternativen böten.

Wie viel Platz würde der homo sapiens sich schaffen, wenn der Individualverkehr aus den Städten vertrieben würde, wie viele Menschenleben würden verschont werden!

Der Wille des Menschen kann Berge versetzen – so wie Sultan Mehmed während der Belagerung von Konstantinopel 1453 eine Landstraße für 70 Schiffe bauen ließ, um die Sperrkette am Eingang zum Goldenen Horn auf dem Landwege zu umgehen – Kreisel statt Ampelkreuzungen, Fußgängerzonen statt Durchgangsverkehr sind nur kleine Beispiele für Not wendenden Veränderungen:

So ließe sich auch der gesamten Individualverkehr in den Städten mittels pausenlos hin und her pendelnden Kleinbussen ersetzen und auf den Autobahnen bereit stehende Leihfahrzeuge, die man statt eigener Metallkisten einfach nutzt. Man steigt einfach am Ende der Autobahn um und ein in ein bereitstehendes Shuttle-Gefährt. Von den denkbaren Dimensionen städtischer Seilbahnnetzen ganz zu schweigen – siehe La Paz, wo inzwischen schon mehr als 300.000 Fahrgäste täglich hin und her befördert werden.

Warum darauf warten, bis Politiker Planungsbüros einrichten für Planer, die planend daran arbeiten sollen, gegebenenfalls nach ganz neuen Plänen den öffentlichen Verkehr zu gestalten?

Jetzt will der Wille des Volkes per Entscheid die Verkehrswende starten, jetzt, nicht morgen oder demnächst oder…

Aber wo sind die entscheidungsfrohen Menschen zu solchen Veränderungen?

Sie verbarrikadieren sich hinter Gewohnheiten, Zwängen, Zweifeln. So wird der Verbrennungsmotor noch lange machtvoll dazu beitragen, die Lebensqualität von uns allen nachhaltig zu schmälern. Dumm, sehr dumm.

08 Dez.

Europa – Meditation # 428

Litaneien statt Kassensturz – wie unpassend.

Ermüdungserscheinungen digital wie analog – die Medien hängen gewissermaßen durch, leiern ihre immer gleichen Gesänge runter, liefern ihren Kotau vor dem verbalen Kampf gegen Antisemitismus ab (man spürt geradezu die tatsächliche oder gespielte Erschöpfung), der Krieg in der Ukraine ist nach wie vor wegen der schlechten Quellenlagen ein zu heißes Eisen, um es endlich ordentlich zu schmieden: Krieg ist Krieg und Frieden harte Arbeit. Die Superlative laufen leer, an jeden Tag ist wieder von „Unerhörtem“ die Rede: Drohnen, Minen, Tunneln, Raketen, Kettenfahrzeuge, Orden, Listen, Lagerkampf um Open AI – hohl, höhler, so ratlos.

So lange die Zentralheizung funktioniert und wir bis Mitternacht einkaufen können, wissen wir, dass wir noch auf der richtigen Seite sind. Natürlich ist gleichzeitig im Gaza-Streifen die Hölle los, während in Dubai weiter Phrasen gedroschen werden und der Ölpreis klar gemacht wird. Vor lauter Wendehälsen weiß keiner mehr, in welche Richtung man sich wenden soll. Hauptsache, eigene Besitzstände können weiter konsumiert werden. Die soziale Schieflage in den USA oder in der BRD kann eben im Moment nicht hinreichend mit kritischen Texten bedient werden, weil wir ja alle längst im sogenannten „Krisenmodus“ angekommen sind. Wie schön, dass es dieser hohle Begriff zum Wort des Jahres gebracht hat, wie schön?

Zum Glück stehen zahlreiche Glühwein-Treffen und das Weihnachtsessen auf der Agenda, das verhilft zu besserem Bauchgefühl allemal. Der Kassensturz, den verlegen wir doch besser ins kommende Jahr, genauso wie den Bundeshaushaltsplan 2024!

Was lügen wir uns eigentlich sonst noch alles in die Tasche in diesen düsteren Tagen des zu Ende gehenden Jahres?

Jedenfalls haben wir inzwischen eine ziemlich dicke Haut entwickelt, wenn es um Begriffskehrtwenden geht: Von Friedensliebe zu Kriegstüchtigkeit, von Asylrecht zu intakten Grenzen, von erneuerbarer Energie zurück zum Weiter Verbrennen fossiler Reste.

„Europas sanfte Macht droht Europas sanfte Macht zu untergraben“ (Joseph Nye) – sanfte Macht? Noch in den Folgen des europäischen Kolonialismus schwabbt die kalte Macht der Europäer zu uns zurück, während wir gönnerisch Restitutionen ermöglichen wollen.

Es wäre gut, soliden Begriffen wieder auf die Beine zu helfen, sie abzuklopfen nach ihren doppelten Böden, die sie fast immer haben. Und es nicht einfach nur bei Schulterschlüssen zu belassen (Verbindungsbruder, Parteisoldat, Blasenfreund, Freimaurerfreund, Hinterbänklerclub) oder bei öffentlichen Bekenntnissen zu verwässerten Grundwerten oder sich ordentlich stark zu fühlen in der kurzsichtigen Wagenburgmentalität. Das würde allerdings bedeuten, nicht mehr nur mit den eigenen Leuten zu reden, sondern den Mut aufzubringen, gerade mit denen ins Gespräch zu kommen, von denen man „sicher weiß“, dass sie auf dem falschen Dampfer dümpeln. Also runter vom hohen Ross und rein in die Kneipe des „Gegners“ (obwohl doch längst klar sein müsste, dass wir alle im gleichen Boot vor uns hin schlingern und keine Zeit mehr ist für selbstgerechte Spielchen)!

27 Nov.

Europa – Meditation # 427

Verbale Fundamentalisten am Werk.

Der moralische Rigorismus geht um in Europa. Bekenntnisse sind abzulegen, Hände in geistiger Unschuld zu waschen. Die Guten sollen sich als solche zu erkennen geben: Nie wieder Antisemitismus in Deutschland! Nie wieder…! Was für ein Sandkastenslogan. Genauso wie die Büßer-Show in Sachen Kolonialismus. Als hätten kluge Leute über Nacht erkannt, dass Ausbeutung und Unterdrückung in der Vergangenheit auch von Europäern verschuldet wurden.

Und wieder fesseln sich die Saubermänner mit Hilfe ihrer eigenen Schuldeingeständnissen: denn es gibt keine Existenz jenseits der Binsenweisheit – jedes Handeln hat Folgen, so oder so.

Was ist denn zum Beispiel mit den Folgen der Grundmuster des westlichen Wirtschaftssystems seit 1945? Bodenschätze, die Millionen von Jahren brauchten, um zu dem zu werden, was sie wurden, haben wir in kürzester Zeit verbrannt, verbraucht. Und wir tun es auch weiter, obwohl das Ende längst absehbar ist. Und auch die Folgen für die Umwelt haben wir längst begriffen und befeuern sie weiter und weiter. Wie verlogen ist das denn?

Aber mit dem moralischen Zeigefinger auf die anderen zeigen, das ist eine unserer leichtesten Übungen. Kostet uns nichts, tut der wunden Seele aber so gut.

Gerne entlarven wir auch den rigorosen Königsberger in seinen logischen Denkgebäuden und weisen ihm unerbittlich nach, dass er antisemitische, rassistische und sicher auch patriarchalische Kurzschlüsse mit im geistigen Gepäck hatte. Ist das denn eine hinreichende Bedienung des eigenen Verstandes, Herr Kant? Hätten wir doch nur den Mut, weise zu sein und einen kritischen Blick auf das eigene Vorverständnis unseres täglichen „richtigen Handelns“ zu werfen!

Wer weiß denn im schlauen Europa eigentlich noch von der langen, unseligen Verfolgungsgeschichte des Volks der Hebräer? Unter Titus, unter Konstantin, unter Justinian, unter den Kreuzrittern, unter dem Mob des erzbischöflichen Kölns im Hohen Mittelalter und unter der Schirmherrschaft des Adolf Stoecker und seines gelehrigen Schülers Wilhelm, der später in seinem Exil 1927 u.a schrieb.: „Ich glaube, das Beste wäre Gas.“

Inzwischen haben sich die Europäer – samt ihren Kopisten weltweit – zu unerbittlichen Weißwäschern des eigenen Zerstörungskonzeptes gemausert, das sie nach wie vor als „alternativlos“ propagieren.

Die Kolonisierung des eigenen Denkens mit der unnachsichtigen Hilfe dieses Wäscheprogamms ist längst zur zweiten Natur geworden: Wer dem widerspricht wird als Outcast diffamiert und lauthals beschimpft. Der verbale Fundamentalismus, mit dem dieser Glaube inbrünstig verteidigt wird, walzt alles nieder, was auch nur ansatzweise versucht, es als Selbstbetrug, hirnrissige Ausbeutung der Natur und atemberaubenden Irrweg zu brandmarken. Der Club der Blinden schimpft sich selbst als Seher eines zukünftigen Paradieses auf Erden. Wir müssen nur ordentlich dran glauben.

So schreit man wider die Populisten, Antisemiten, Rassisten, Querdenker und Fundis energisch: „Haltet den Dieb!“, während man selbst gierig weiter sein Schäfchen ins Trockene führt, bzw. in Steuerparadiesen gewinnbringend parkt. Und um die eigenen Ländereien am besten hohe Mauern baut samt Kamerawald, errichtet – am besten aus Mitteln des Steuerzahlers, klar.