21 Feb.

Europa – Meditation Nr. 489

Die Gleichzeitigkeit der vielen Zeitzonen im kurzen Leben des homo sapiens.

Die Zellen des Organismus haben ihre eigene Zeit: lautlos und fast nicht wahrnehmbar gestalten sie im Jetzt ihre endlos andauernden Veränderungen – zwischen Geburt und Tod. Ähnliche Abläufe, doch immer unverwechselbar einzigartig. Mit Hilfe erbärmlicher Tricks – wie Facelifting, viel Farbe und vielen Krafttrainingsgeräten – versucht die spezies über das Unausweichliche hinwegzutäuschen: einfach die Schlagzahl erhöhen, dann lässt sich scheinbar die Zeit links und rechts überholen und gewinnt so Zeit gegen die verfließende Zeit. Veränderungen liegen somit gewissermaßen in der Verfügungsgewalt des sich dennoch weiter Verändernden. Dem bloßen Hinnehmen des Alterns stellen wir ein aktives Gestalten der eigenen Gestalt gegenüber, die dem Traum vom Anhalten der Zeit näher und näher zu kommen scheint.

Und um nicht auf Selbstzweifel und Verzagtheit zu verfallen, erfindet sich der homo sapiens ein immer wirkungsvoller die Zeit außer Kraft setzendes Ablenkungsprogramm, das es ihm ermöglicht, je länger, je mehr dem flüchtigen Augenblick so etwas wie Dauer zu verleihen. Lieblingswort: Dauerschleife. Die einzigen Störfaktoren in diesem running gag sind Krankheit und Erschöpfungszustände. Aber auch die können überbrückt werden mit der immer gleichen Methode: Ablenkung, traumloser Schlaf und gesunde Ernährung. Das regeneriert den Organismus nachhaltig, glaubt dann der homo sapiens.

Aber weitere Störungen melden sich hartnäckig zu Wort: Anfälle von Einsamkeit malrätieren den nach vorne stürmenden Blindgänger, ein overkill an Botschaften überschwemmt den eitlen und neugierigen Zeitgenossen, Lärm und schlechte Luft drangsalieren den flüchtenden Dauerläufer. Aber es will einfach nicht aufhören, das Gerenne, das Gequatsche, das Getue, das Gemeckere. Als würden Goldmedaillen verteilt für den überzeugendsten „Schlechte-Laune-Propheten“. Nur nicht angepasst sein, nur nicht mitlaufen, nur nicht Durchschnitt oder gar „normalo „ sein! Am besten gleich wieder shoppen gehen, Kurzurlaub buchen, zocken, kiffen, cracken, Staffeln glotzen.

Gleichzeitig zieht die Klimakrise weiter ihre Kreise zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Verbrennermotoren bespielen ihre Halter mit sonoren Klängen, während gleichzeitig Plastik zum festen Partikel-Bestandteil der Meere wird, aus dem einst das Leben an Land kroch.

Gleichzeitig wird die wärmende Sonnenstrahlung mehr und mehr zum zusätzlichen vorzeitig Vernichter der species – home-made, versteht sich.

Statt die eigene Abhängigkeit von den Mitmenschen als Chance und Gegengift zur mörderischen Individualismusspirale zu begreifen und so gleichzeitig der eigenen Veränderung in der Zeit solidarisch in Familie, Freundschaft und guter Nachbarschaft zu begegnen, beschleunigt das hilfsbedürftige Einzelwesen seine Fluchtkonditionierung hin zu immer schnelleren und besinnungsloseren Ablenkungsmanövern.

So wächst gleichzeitig die antrainierte Fremdheit mit dem eigenen Organismus ins schier Uferlose und kann so auch nicht mehr als das erlebt werden, was sie ist: trotziges Totschweigen des selbst inszenierten Sackgassen-Wettrennens, das individuell immer mit dem eigenen Tod endet.

Dennoch existieren wir weiter als verwandte Wesen, die auf die familiäre Hilfe von Anfang bis Ende angewiesen bleiben, so aber dieses belebende Erleben sich verweigern, was sie im Grunde ausmacht: Nähe, Wärme, Schutz, Hilfe annehmen und Hilfe geben. Schwäche, Bedürftigkeit, ein Mangelwesen eben.

20 Feb.

Europa – Meditation Nr. 488

Die Galionsfigur der sogenannten NEUEN WELT.

Endlich ist es nicht länger eine Phantasmagorie, die zwischen Batman und Moloch hin und her schwankt, sondern es ist tagtäglich in der medialen Wirklichkeit zu besichtigen: Wie der scheinbar lustige und doch so geizige Donald Duck in seinem Geld schwimmt, so suhlt sich der goldlockige Donald Trampel in seinen eigenen Suaden. Wie eine billige Galionsfigur zappelt er mit herunter gezogenen Mundwinkeln, mal schmollend, mal verächtlich grinsend, fest gebabbt vorne am Ozeanriesen USA und hält sich für die wahre Inkarnation amerikanischen Prädestinationsglaubens: Ich bin der Größte, ich bin der Reichste! Und ich bin auserwählt. Wie bitte? Elon Musk? Sie kennen einfach nicht die neuesten Zahlen: er meint nur, er sei der Reichste, aber genauso wie Selenksy bei 4% vor sich hin dümpelt, hat Musk einfach nicht die Stellen vor dem Komma richtig gezählt. So what, anyway…Da Gott mich nicht nur bei diesem niederträchtigen Attentat geschützt hat, sondern schon immer der Meinung war, dass Amerika den Auftrag hat, die Welt sich untertan zu machen, muss ich alles daran setzen, den bösen Teufel im fernen Osten niederzuringen. Da habe ich natürlich keine Zeit für peanuts wie Europa oder den Zwergstaat Ukraine, der sowieso keine Berechtigung hat, zu existieren. Wie ich darauf komme? Hat mir neulich am Telefon der russische Zar Peter haarklein erklärt. Können ihn ja fragen, wenn sie es nicht glauben.

Die Europäer verstehen die Welt nicht mehr. 80 Jahre lang glaubten sie in Amerika die bessere Variante westlicher Wertvorstellungen vor sich zu haben, die als Schutzmacht und Weltpolizist eine regelbasierte, verlässliche, atomwaffengestützte Vorrreiterrolle spielte. Das freie Spiel der Kräfte und Märkte führte fast ungebremst zu Wohlstand von immer mehr Menschen im Kielwasser des American Way of Life, die den Individualismus weltweit auf ihre Fahnen schrieben. Die Kollateralschäden in Vietnam, Afghanistan, Chile und Irak muss man eben in Kauf nehmen. Außerdem war das bisher ja auch immer weit weg von Europa. Dass aber dabei nichts als beinharter Materialismus und der Dollar alles einebneten, wird erst jetzt bemerkt und empört in Frage gestellt.

Die Siedler, die damals aus Europa nach Übersee segelten, kannten keine Gnade – weder mit den dort ansässigen Menschen, noch mit den Tieren, nicht mit der Natur: alles musste sich dem Gewinn beugen, dem Mehr-Besitz-Haben-Wollen. Das Ganze natürlich schön verpackt im schlichten Mäntelchen christlicher Nächstenliebe. Und die Idee vom Individualismus entpuppte sich ebenfalls als ein Konzept brutaler Gewalt und unerbittlicher Machtgebärde, die nur den Starken und Reichen rechtswirksam begünstigte.

Jetzt, wo den Europäern die Augen aufgehen und sie erkennen müssen, dass sie sich haben blenden lassen, dass sie praktische Mitläufer waren in einem Rennen, in dem die Werte der europäischen Völker nur so lange als Rahmen von Amerika in Kauf genommen wurden, so lange sie nicht dem ungebremste Geldfluss und Machtgestus der imperialen Phantasien des „Goldjungen“ im Wege stehen, jetzt stehen sie mit dem Rücken an der Wand und m ü s s e n sich auf ihre eigenen Traditionen, Werte und Regeln besinnen und sie mutig verteidigen gegen den falschen Freund von Übersee.

Das ist die Stunde Europas, die Stunde der Macht der Völker, die nicht nur ihre Eigenständigkeit und ihre Geschichte an einem Punkt angekommen sehen, wo sie erstmals – alle an einem Strang ziehend – unabhängig und solidarisch mit Hilfe Suchenden und den bedrängten Ukrainern zusammen – ihre Eigenverantwortung auch der Natur gegenüber in die eigenen Hände nehmen können, sondern die nun mit einer Vision eines gesamteuropäischen Friedenskontinent optimistisch und nicht mehr fremd bestimmt zusammenstehen und kreativ Zukunft gestalten sollen.

17 Feb.

Europa – Meditation Nr. 487

Tumult im Chaos der Bildervorräte.

Die Bildungsbürger zeigen in diesen Tag mal so richtig, was sie drauf haben: Im TV-Palaver werfen sie sich die Assoziationen nur so um die Ohren. Fast jeder Satz beginnt mit dem „Intro“ : „Nein, ich bin mir ganz sicher“ – oder – „Ich glaube felsenfest“ – oder – „Meiner Meinung nach ohne Zweifel“…Und fleißig werden die amerikanischen Sprechblasen wie Ping-pong-Bälle hin und her gepustest. Man ist sich in seinen Einschätzungen sehr sicher, wohin der turbulente Flug gehen wird:

Die Jonglage beginnt natürlich mit den üblichen Verdächtigen: China und Russland und natürlich die USA und Europa. Obwohl im schrillen Streichquartett längst auch andere Bälle den Akteuren quer durchs Bild sausen: Indien, Brasilien, Nigeria, Südafrika…

Und ob des großen Tumults suchen die Teilnehmer der Debatte „Was tun angesichts des unanständigen Ausscherens des großen Bruders aus dem so gerne geglaubten festen Bündnisses? Was tun?

a) Ruhe bewahren, nach-denken, durchatmen…

b) Sich auf die eigenen Stärken besinnen, zusammenstehen…

c) Gemeinsame Werte beschwören und nur ja keine Angst machen…

Selbstverständlich dürfen große Namen dabei nicht fehlen: ein gewisser Chamberlain, der sogenannte „Apeasement-Man“, und der Fels in der historischen Brandung, ein gewisser Churchill, der auch unangenehme Botschaften mutig zu verkünden wusste.

Die Europäer sollten nur aus der Position der Stärke heraus dem Aggressor gegenüber treten, jedes Zugeständnis im vorhinein sei grob fahrlässig und gewissermaßen völlig unprofessionell. Sich selbst hält man selbstverständlich für einen Profi, der nach kritischer Güterabwägung zu scheinbar klaren Schlussfolgerungen kommt.

Währenddessen schaffen die Libertären Tag für Tag neue Fakten, vorbei an stabil geglaubten Verfassungsrahmenbedingungen. Stabil? Weit gefehlt. Man könnte tatsächlich das Jahr 1933 und die neuen Gesetze damals heranziehen, um einen „ähnlichen Fall“ zu beschreiben wie gerade in Washington.

Als wäre die Geschichte ein gut verpacktes Bündel an sicheren Feststellungen, obwohl sie doch auch nur immer wieder neu verschnürte Momentaufnahmen der Zeitgenossen sind, deren Verfallsdaten schon beim Druck verfallen sind.

Aber wie müßig ist das denn? Das Chaos der Wirklichkeit schafft im Lauf der Zeit von Augenblick zu Augenblick neue Moment-Konstellationen, die schon erledigt sind, wenn wir sie wortreich zu deuten versuchen. Aber trotzig wollen die Experten dem jeweiligen Augenblick Dauer verleihen. Frau Miosga kann vor lauter höflichem Lächeln gar nicht all die schillernden Wortgirlanden à la Rüttgers zu einem stimmigen Blumenstrauß binden, denn der Ukraine helfen eben keine Worte, keine Beschwörungsformeln, keine Allgemeinplätze.

Viel Kompetenz loderte da in der Runde, man spielt sich im Tumult des Chaos höflich die Bälle zu, aber trotzdem kann keiner auch nur andeutungsweise richtig stellen, was heute in Paris, morgen in Washington und übermorgen in Moskau für ein Theaterstück aufgeführt werden wird. Neben Orangensaft und Croissants hilft auch kein Espresso aus der Ratlosigkeit heraus. Waren das doch herrliche Zeiten, als man gebetsmühlenartig die eigene Chaos-Deutung als stabil, wetterfest und zutreffend bereden konnte: „Das Westliche Bündnis, Die Nato, Die EU, das Demokratie-Modell der westlichen Welt, Wohlstand, Fortschritt…“ Und längst vergessen die für sicher erachteten Formeln der Jahrzehnte davor: „Ost-Westkonflikt, Antikommunismus, Atomares Patt, der Overkill-Effekt, das Nord-Atlantische Bündnis, die Bündnis-Treue…“ Wie rasant die Bildervorräte zu Ende gehen und blitzschnell durch neue ersetzt werden müssen. Wie atemlos, wie ratlos! Und dabei sitzt der species noch ein viel größerer Gegner im Nacken: die Natur, deren Teil er ja ist, was er aber unterwegs vergessen wollte/hatte. Der homo sapiens sapiens hielt sich tatsächlich für den Mentor der Natur.

Wie sagten doch schon die alten Griechen: Hochmut kommt vor dem Fall!