29 Nov.

Europa – Meditation Nr. 472

Warum das Lügen so ein gutes Gefühl erzeugt.

„Wo ist die Nachricht?“ fragte neulich ganz kühl der geschasste Finanzminister, als man ihn auf ein Papier ansprach, das in seinem Stall erstellt worden war. Jetzt – knapp eine Woche später – holt ihn nicht nur die Botschaft dieses Papiers erbarmungslos ein, nein, auch die darin angehäufte Nachricht lässt –schwupp-diwupp – gleich den ersten Kopf rollen. Wenn das keine Nachricht ist! Der Zuschauer der heiß laufenden Medien-Demokratie grinst genüsslich: Na bitte, wer sagt es denn! Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne. Der Puls geht hoch: echt, das ist ja wirklich unterhaltsamer Journalismus! Die sind richtig fix, die Jungs, oh pardon, die Mädels – das heißt, Mädels sollte Mann wohl besser nicht mehr sagen, das ist längst nicht mehr woke.

Und schnell – es muss immer ganz schnell gehen – folgen die „Klarstellungen“: Es sei ein internes Papier, weder der Chef, noch sein erster Sekretär haben etwas davon gewusst. Was ist das denn für ein Betrieb? Der Laden macht wohl, was er will! Führungsschwäche! Sofort springt der loyale Recke in die Bresche für seinen Herrn: „Ich nehme alle Schuld auf mich. Ich habe zwar auch nichts davon gewusst, bin aber für die internen Abläufe verantwortlich.“ (Da rackern sich unsere Leute an der Basis ab, finden tolle Assoziationen („D-Day“ zum Beispiel oder „offene Feldschlacht“) und werden forsch zurückgepfiffen. Aber ihre Arbeit hat sich gelohnt. Denn haften bleiben sowie so nur die auf bloße Effekte angelegten Wortspiele. Und diese Effekte, dass man über diese klitzekleine gelbe Partei überhaupt noch spricht, gelingt raffiniert, in dem man sich einfach ein paar Kleider anzieht, die eigentlich viel zu groß sind für den kleinen Knaben vom liberalen Ufer. D-Day, wenn das nicht mal eine große Nummer ist! Offene Feldschlacht, wenn das nicht mal so richtig mitten ins Herz eines jeden Patriarchen geht. Und schon werden die nächsten Umfragewerte wieder nach oben zeigen. Denn eine so kleine Partei, die so furchtlos lügt und große Töne spuckt, die muss man doch einfach gut finden. Da können die von den beiden großen Parteien nur von lernen. Die beiden von den Rändern des Parteienspektrums sowie so: Na bitte, werden die hinter vorgehaltener Hand raunen, na bitte, das Vokabular vergangener großer Epochen wird ja doch wieder hoffähig. Wie gut tut das denn?

Vor lauter Aufregung über den Lügner aus New York vom Trampelturm, der das Lügen in den Medien wieder so richtig als Knaller etabliert hat, der Stimmen einfängt noch und noch, entgeht dem Zuschauer des europäischen Medien-Theaters völlig, wie auch vor seiner Tür ordentlich gelogen wird, dass sich die Balken biegen.

„Wo ist die Nachricht?“ Gute Frage, Herr Lindner, gute Frage!

Wer sich noch erinnern will und kann, weiß sicher auch, dass diese sogenannte liberale Partei, das gelbe Glücksbringerhäufchen, nicht zum ersten Mal als scheinbar loyaler Koalitionspartner hinter den Kulissen bereits den Königsmord vorbesprach – immer vor dem Hintergrund des Hinterzimmertenors: nur so lange koalieren, bis der wartende neue Koalitionspartner verstohlen winkt. Dann auf keinen Fall zögern. Clandestin alles vorbereiten und über Nacht aus den Unterständen auftauchen und abhauen. Flucht nach vorne. Und natürlich die passenden Lügen längst für die Presse mundgerecht vorbereitet.

Vielleicht sollten sich die Wähler das mal vormerken: die kleine gelbe Truppe taugt nicht für solide, dauerhafte und sozialverträgliche Vorhaben. Also dann auch nicht wählbar, ist doch klar – oder ? Lügen können wir uns einfach nicht mehr leisten, Herr Merz. Oh, pardon, Herr Lindner!

28 Nov.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 178

Wie der gekränkte Liebhaber, Zeus, doch noch Rache nehmen will.

Der Obergott liegt auf seinem weichen Diwan – Hera, seine Gattin, liest nebenan mal wieder seiner Tochter Athena die Leviten – und weidet sich an seiner schlechten Laune: Die stolze Prinzessin aus Phönizien! Sie hat ihn sitzen lassen! Dabei hatte der Trick mit dem Stier doch gut geklappt. Jetzt spielt sie in Kreta mit ihren Söhne die Regentin. Unerträglich. Und seine Brüder? Kein Verlass auf deren Hilfe.

„Wenn ich jetzt nicht selbst handle, ist sicher die letzte Gelegenheit vertan!“ sinniert Zeus vor sich hin. Wütend starrt er in seinen Pokal. Er hat keinen Durst mehr. Ihm ist übel.

„Vater, was sagst du denn dazu?“ ruft Athena empört, als sie plötzlich herein stürmt. Hera hatte ihr gerade erklärt, es sei unschicklich, jungen Männern in Athen Beistand zu versprechen: Der zu zahlende Tribut an Kreta sei nun mal zu zahlen. Punkt.

„Ich? Äh, also, ich, äh…“ Zeus weiß nicht, was er Kluges seiner Tochter antworten könnte. Dann beginnt er aber einfach zu sprechen und wundert sich selbst, was dabei aus ihm heraus sprudelt:

„Och, ich wollte sowie so demnächst mal wieder nach Kreta fliegen, da könnte ich ja versuchen, beim Rat der Alten ein paar Ideen in dieser Tribut-Geschichte vorzuschlagen.“

„Wirklich? Das würdest du tun?“ Athena umarmt ihren Vater überschwänglich und küsst ihn auf seine uralten Lederwangen.

„Danke, danke, danke!“

„Schon gut, schon gut!“ erwidert Zeus geschmeichelt Athena. Jetzt hat er sogar einen triftigen Grund, nach Kreta zu reisen. Hera kann also keinen Verdacht schöpfen.

Hera wundert sich zwar, wieso er gleich heute noch los will, aber was soll’s? Im Grunde ist sie froh, wenn ihr Mann mal wieder frische Luft schnuppern geht. Nur hier im Olymp herum hängen, tut ihm gar nicht gut. Nur schlechte Laune tagein tagaus.

Und schon macht er sich auf den Weg. Athena und Hera winken noch hinter ihm her.

Was ist denn da los? Zeus wundert sich, dass im Hafen von Heraklion so viele Kreter herum laufen, sogar der Rat der Alten ist vor Ort. Was geht da vor? Dann hält er erschrocken die Luft an: Da ist sie ja, diese arrogante Frau. Europa. Wie sie lächelt, wie sie ihre Söhne anstrahlt! Ekelhaft. Sicher alles nur Theater, denkt Zeus. Aber er will die Gelegenheit gleich beim Schopfe fassen. Federleicht mischt er sich unter die Leute und schon steht er neben Berberdus, dem Ratsvorsitzenden.

„Was gibt es denn da zu jubeln? Die Fremde bringt doch nur Unglück über die Insel.“ zischt Zeus dem Alten ins Ohr. Berberdus dreht sich verdutzt um, starrt den Mann einen Augenblick misstrauisch an.

„Ganz meine Meinung, Mann! Aber da ist wohl nichts zu machen.“ Hasserfüllt schaut er dabei Europa, Chandaraissa, Cathuro und den beiden Zwillingskindern hinterher. Die genießen den freundlichen Empfang sehr. Damit hatten sie gar nicht gerechnet.

Das läuft ja hervorragend, geht es Zeus durch den Kopf. Mit feinem Grinsen erwidert er Berberdus bedeutungsvoll orakelnd:

„So? Geht in den Köpfen der Kreter nicht ein ganz anderer Gedanke um? Soll die Regentin nicht krank sein, kurz vor dem Ende…?“

Berberdus gibt völlig überrascht dem orakelnden Fremden ein Zeichen ihm zu folgen. Ihm kommt es so vor, als träume er: ein Ende, kurz bevor stehend?

„Die Ratsherren treffen sich noch in meinem Haus nachher. Wollt ihr nicht mitkommen?“

„Aber ja doch, gerne!“ zwitschert Zeus zuckersüß.

Und während Europa und die anderen Ankömmlinge unter dem Beifall der Kreter zum Palast hinauf gehen, werden im Innenhof von Berberdus prächtigem Haus die Fackeln angezündet. Es gibt reichlich Brot und Wein, Käse und in einer würzigen Tunke saftige Oliven.

Der Gast – er nennt sich Suezzos – fühlt sich sehr wohl in dieser Runde und auch die Ratsherren haben ein gutes Gefühl mit ihm: er scheint wie sie nicht viel von Europa zu halten. Gut. Sehr gut.

22 Nov.

Europa – Meditation Nr. 471

Warum denn in die Ferne schweifen?

Nein, wir müssen nicht in Utopien ausweichen.

Nein, wir müssen nicht nach Amerika blicken.

Wir können einfach vor Ort, Schritt für Schritt, gemeinsam an einem Neubeginn mitmachen.

Wie das?

Die Staatsform D e m o k r a t i e gerät mehr und mehr ins Gerede. Die Wahlergebnisse in den USA gäben doch ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie längst medial und mit Geldmittel ausgehöhlt werde, so dass Ergebnisse erzeugt werden können, die immer mehr die eigene Abschaffung mit beinhalten können.

Und auch in Europa seien ähnliche Trends zu beklagen, weil immer mehr Gruppierungen mit in die Parlamente gespült werden, die doch bloß noch das Mittel der freien Wahl benutzen wollen, um das Modell als Ganzes abzuwickeln.

So oder so ähnlich tönen die Kassandrarufe der Pessimisten und akademischen Klugmenschen, die im gleichen Atemzug auch gerne Weltuntergangsszenarien ausmalen, um ordentlich Angst zu machen und/oder auch Schuldgefühle rüber zu reichen.

Damit schafft man aber keine Bereitschaft, gemeinsam ein optimistisches Zukunftsbild glaubhaft auszumalen und auch gemeinsam zu beginnen, es gemeinsam zu gestalten. Nein. So nicht.

Wem also die Utopien zu utopisch sind, die düsteren Orakelsprüche zu düster, dann sollte man vielleicht bescheiden da anfangen, wo man (Frau wie Mann) selbst mit anfangen kann: Vor Ort.

Was bewegt denn hierzulande die Menschen?

Das Thema Gewalt – gar nicht mal Ukraine oder Gaza im Kopf dabei, sondern die eigene Erfahrungswelt draußen vor der Tür:

Keine Verbindlichkeit mehr im Alltag – wenn man auf den Bus wartet oder an der Supermarktkasse,

Keine Hilfsbereitschaft mehr im Alltag – wenn man ratlos nach dem Weg sucht oder jemand an die Wand gedrückt wird,

Keine Solidarität mehr im Alltag – wenn Frauen mies angemacht oder sogar bedroht werden.

Was tun?

Wie wäre es, wenn man den „Wahlkämpfern“ die Pistole auf die Brust setzte und sagen würde: „Wenn du meine Stimme haben möchtest, dann nur dann, wenn du dich vehement für die schnelle Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes einsetzen wirst, wenn du ohne wenn und aber die Neuregelung von & 218 mittragen wirst und wenn du die Mittel für Bildung auf 5.5% des Sozialprodukts hochfährst, damit wir zumindest mal über dem OECD-Durchschnitt (!) liegen – aber zum Beispiel von Norwegen noch meilenweit entfernt sind? „

Das wären doch mal drei ziemlich konkrete und nachvollziehbare Forderungen, die auch unserem Nachbarn zugute kommen würden, nicht nur uns und überhaupt nicht utopisch, sondern bloß bisher nicht von unseren Parlamentariern umgesetzt!

„Und nur wenn du dich zu diesen drei Basics verpflichtest, werde ich dich wählen. Und nicht nur ich, sondern auch Millionen andere.“

Das wäre doch mal eine Ansage!

Und was für gute Stimmung würde das schaffen! Jetzt schon bei den Wahlveranstaltungen und natürlich auch hinterher, wenn es an die konkrete Umsetzung gehen wird!

Jeden Tag geht das Wahlvolk zu den Wählständen und stellt diese drei Forderungen als conditio sine qua non! Únd in den social media werden jeden Tag die Frauen (Männer natürlich gerne auch) darüber untereinander palavern und nicht locker lassen, sich solidarisieren und jeden Tag wiederholen, worin die drei Bedingungen bestehen, um vom Wahlvolk auch gewählt zu werden.

Wäre das nicht ein überwältigendes Beispiel dafür, dass das Volk, das ja herrschen soll und bloß aus organisatorischen Gründen die Abwicklung der eigenen Pläne an Vertreter delegiert, weiß, was es will und darauf besteht, dass es auch geschieht?