Euopa – Meditation # 345
Bäumchen, Bäumchen wechsle dich?
Das zunehmende Tempo beim Taxieren der aktuellen Verhältnisse angesichts kriegerischer Auseinandersetzungen am Rande Europas und steigender Inflation und fallender Aktienkurse (Rüstungswerte selbstverständlich ausgenommen!) macht es immer schwieriger, halbwegs brauchbare Einschätzungen abzuliefern; dennoch wetteifern die Medien pausenlos mit Prognosen, die durchweg eingetrübt von schlechten Aussichten unken.
Die einen fordern gar mehr Führungswillen Deutschlands, obwohl solche Muster doch längst ausgedient haben – zum Glück – die anderen den Schulterschluss mit dem alten Gewinner transatlantischer Konflikte. Dabei werden auch bereits eingemottete Modelle wiederbelebt: Ein neuer Marschall-Plan muss her, lautet der Refrain in der Litanei der Kriegsgewinnler. Und da der von 1947 sehr effektiv den Geldbeutel reicher Amerikaner weiter füllte, ist es nur zu verständlich, dass man auch 2022 gerne solch ein Schuldenangebot der Ukraine machen möchte, damit die Safes der amerikanischen Geldaristokratie weiter vergrößert werden können.
Die Frage der Hegemonie wäre dann für die nächsten dreißig Jahre auch schon geklärt, samt Nibelungentreue der aufrechten Ampelpartner Mitteleuropas. Die amerikanische Rüstungsindustrie lässt gönnerisch fette Brosamen von ihrem Tisch fallen, damit die europäischen Partner auch das Gefühl haben können, sie seien Partner, wo sie eigentlich doch nur Gefolgsleute sein dürfen.
Damit aber sich aber niemand erniedrigt fühlen muss, werden die Gegner umso größer medial aufbereitet: China, Russland, Indien und Iran – das sind wahrlich Kaventsmänner, die einem ordentlich Angst machen können. Drum ist es gut, wenn man einem potenten Schutzpatron dient und diesen Dienst als Erfolgsgeschichte medial verkaufen kann. Also wird das alte Spiel lediglich mit neuen Karten gespielt, und weil es ja so eilt, muss auch nicht lange nachgedacht werden – von Kritik ganz zu schweigen – wenn man Saudi-Arabien wieder mit in den Club holt: schließlich haben die die Rohstoffe, die man zum Krieg führen nun mal braucht. Kashoggi oder Frauenrechte – von Menschenrechten überhaupt ganz zu schweigen – müssen da eben in die zweite Reihe rücken. Prioritäten angesichts beängstigender Visionen können keine Rücksicht nehmen auf Abweichler, Mahner, Kritiker, Frauen, Arbeitslose, Flüchtlinge. Auch die Meinungsfreiheit hat da ihre Grenze, wo es um existentielle Bedürfnisse großer Konzerne geht. Ähnliches gilt natürlich auch für die Türkei: Wenn dort weiter Systemkritiker eingesperrt werden, wenn kurdisches Territorium in Syrien und im Nordirak aus der Luft und zu Lande attackiert wird, dann ist das zwar aus europäischer Sicht problematisch, aber schließlich hat die Türkei ja für die Westeuropäer das Flüchtlingsproblem geschultert. Die Frage, wohin das Geld der EU dafür geflossen ist, sollte man wohl besser nicht stellen.