Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 116
Die Vorbereitungen des Tanzfestes sind abgeschlossen.
Archaikos, der Minos von Kreta, steht am Rande des kreisrunden, tiefen Geheges seines Lieblingsstiers – Minotaurus.
„Nun, mein Lieber, was hältst du denn vom kommenden Tanzfest, mh?“
Ein bedrohliches Schnauben ist die Antwort, das Archaikos von da unten entgegenschlägt. Wie soll er es deuten? Sein Fleisch ist nach wie vor vollgesogen vom Duft und Geschmack seiner neuen Frau, Europa.
„Du bist also meiner Meinung: Es wird ein großes Fest und ein großer Erfolg?“
Im schattigen Innenhof des Palastes trifft er auf seine Frau. Neben ihr die Amme mit den neugeborenen Zwillingen in ihren Armen. Sie schlafen. Europa gibt der Amme ein Zeichen, die Kinder in ihre Schlafkammer zu bringen. Sie selbst tritt lachend und tänzerisch gestikulierend auf Archaikos zu.
„Mein Lieber, du siehst nachdenklich aus, was kümmert dich?“
Archaikos fühlt sich ertappt.
„Oh, ich denke gerade darüber nach, womit ich es verdient habe, dass die Götter dich mir schickten.“
Europa schmunzelt. Sie sieht, dass er lügt. Aber sie spürt auch, dass es eine schöne Lüge ist.
„Die Göttin, meinst du, die Göttin, nicht wahr?“,
überspielt sie die Situation mit einer wohlmeinenden Richtigstellung. Archaikos ist erleichtert. Wie klug sie doch seine Bedenken und Unsicherheiten wegzuwischen weiß. Und wie schön sie ist.
„Europa, du siehst blendend aus. Damit ich nicht gleich hier über dich herfalle, erzähl mir doch einfach, wie es mit den Vorbereitungen für das Tanzfest steht.“
Sie umarmen sich behutsam, lachen beide, dann legt sie los:
„Du weißt, der Neumond steht kurz bevor. Unsere Proben sind abgeschlossen, die Gewänder und bunten Tücher gewebt und anprobiert, die Musik einstudiert, der Platz vor dem Tempel der großen Göttin wird gerade für die Zuschauer hergerichtet. Und der Wettergott scheint uns auch gewogen zu sein.“
„Also lauter gute Nachrichten, meine Liebe.“
Sie nickt. Wenn er wüsste, was da auf ihn und alle Kreter zukommt! Chandaraissa und sie wollen mit einem großen Zauber alle mitnehmen auf eine Reise in ein Leben voller Lust und Leidenschaft, indem Lebensfreude und Bereitschaft zum Teilen alle beseelt. Und das Tanzritual, das noch nie jemand gesehen und gehört hat, wird alle so verzaubern, dass sie gar keine Lust mehr haben auf Zwietracht, Häme und Gewalt, weil alle sich nur noch danach sehnen werden, sich dem Leben in all seinen Formen und Farben hinzugeben, rastlos und kaum zu sättigen. Männer wie Frauen gleichermaßen.
„Unsere Kinder leben einer glücklichen Zukunft entgegen. Das Tanzfest wird wie das Eingangstor zu dieser neuen Epoche sein.“
Dem Minos von Kreta läuft eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Wirklich?