Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 117
Göttliche Lauscher bei der Generalprobe der Tänzerinnen.
Die drei göttlichen Brüder, Zeus, Hades und Poseidon, fliehen aus der kalten olympischen Bar auf die Erde. Sie wollen auf keinen Fall Athene Rede und Antwort stehen, sie ist immer so spitzfindig und ausdauernd in ihren Nachfragen.
„Machen wir doch einen kleinen Abstecher nach Kreta, einfach so! Was haltet ihr davon?“ fragt Zeus seine beiden Brüder ziemlich scheinheilig. Die nicken jovial. Schon gut, Bruder, schon gut, wir sind dabei.
Was Zeus aber nicht weiß, ist, dass gerade vor dem großen Tempel der Göttin die Generalprobe stattfindet. Die jungen Priesterinnen haben sich zwischen den Säulen der Vorhalle im Schatten zusammengefunden und hören nervös den letzten Ratschlägen von Europa zu.
„So, jetzt zieht euer Priestergewand aus und schlüpft in die bunten Tücher für den Tanz, los!“ Chandaraissa klatscht in die Hände und treibt ihre Elevinnen zur Eile an.
Unsere drei Brüder haben sich hinter alten Maulbeerbäumen versteckt und schauen dem Treiben erregt zu. So viel nackte Schönheit auf einmal haben sie noch nie gesehen. Atem holen, schlucken, leise stöhnend die Luft wieder ausstoßen. Was für ein Bild. Dazu das Kichern der Priesterinnen, die sich nun ganz gehüllt in bunte Tücher in drei verschieden großen Kreisen aufstellen und auf den Einsatz der Musik warten. Eine leichte Brise trägt die leisen Töne der Trommeln und Flöten zu den heimlichen Zuschauern, denen dieser Tanz zur Musik vorkommt wie der Genuss von Nektar und Ambrosia. Sie fühlen sich schon bald wie in einem Rausch aus Bewegungen, Tönen und Farben gefangen, der ihr göttliches Sein durchdringt, als wären sie gefangen in Schönheit, Lust, Eleganz und Musik.
Die jungen Tänzerinnen steigern sich in ihrer eigenen Begeisterung immer mehr in kühneres Heben der Arme und Beine, mal den Kopf weit nach hinten geneigt, mal weit nach vorne gebeugt, mal scheinen es große Vögel zu sein, die ihre bunten Federschwingen melodisch auf und nieder bewegen, mal tänzeln sie halbnackt im Takt von einem farbenfrohen Kreis in den anderen, als wären ihre Körper federleicht und zauberhaft schön, hin und her, vor und zurück, mal sich an den Händen fassend, mal die Arme weit über die Köpfe empor reißend, während ihre nackten Füße kaum die Marmorplatten zu berühren scheinen.
Die drei göttlichen Brüder sind längst von so viel Schönheit, Anmut und Reiz wie benommen. Und Zeus starrt immer wieder Europa an, als sähe er sie jetzt zum ersten Mal. Wie heiße Blitze fahren ihm aber gleichzeitig die lustvollen Bilder aus der Höhle durch den Leib, wo er und Europa zusammen gewesen waren.
Da steigt ein zornig wilder Gedanke in ihm auf: Niemals, niemals darf dieser Tanz, den Europa mit den Priesterinnen eingeübt hat, von den Kretern gesehen werden, niemals.
„Los, kommt, nichts wie weg!“ schnauzt er seine Brüder wütend an.