Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 133
Die Götter schicken ein schlimmes Beben.
Chandaraissa und Europa sitzen auf einer marmornen Bank vor dem großen Tempel der großen Göttin. Sie lachen. Eine kühle Brise weht vom Meer zu ihnen herauf. Sie können es einfach nicht glauben, dass ihre Idee vom Tanzfest so bald schon wirklich werden wird. Und Europa kann es noch immer nicht fassen, dass sie hier auf Kreta eine so wunderbare Freundin gefunden hat – nach dem völlig verunglückten Verführungsabenteuer mit diesem faszinierenden Fremden, damals in der Höhle. War es doch ein Gott gewesen?
„Du, Europa, ich hab eine Idee“, holt sie ihre Freundin aus ihren mulmigen Gedanken zurück zu ihr, „wir machen die Hauptprobe mit den jungen Tänzerinnen auf der großen Wiese am Fuße des Götterberges. Was hältst du davon?“
Europa ist froh, wieder mit anderen Gedanken beschäftigt zu werden. Sie nickt, strahlt vor Freude und Überraschung: „Das ist eine wirklich gute Idee. Die jungen Priesterinnen werden es genießen, es wird keine ungebetenen Zuschauer geben. Aber wann?“ Chandaraissas Antwort macht sie sprachlos:
„Heute, jetzt gleich.“ „Aber“, beginnt Europa, ohne zu wissen, was sie dazu sagen soll. „Kein aber“, fährt ihr zum Glück die Freundin gleich dazwischen und steht auf, „ich werde die Priesterinnen gleich zusammenrufen.“
Jauchzer schweben durch die Gänge, Kichern, Lachen, helle Stimmen sind zu hören. Dann sieht man auch schon die Frauen wie eine kleine Prozession vom Tempel Richtung Götterberg wandern.
Unsere drei göttlichen Brüder, Zeus, Poseidon und Hephaistos sitzen da schon längst mit dem bronzenen Riesen in dessen hohen Höhle und trinken um die Wette. Ihr Gegröle und Geschmatze hallt widerlich von den Wänden zurück. Talon fühlt sich mächtig wichtig. Noch nie waren die drei göttlichen Brüder bei ihm zu Gast. Zum Glück hatten sie Getränke vom Olymp mitgebracht, samt Mundschenk Polyphem. Die drei Brüder werfen sich gegenseitig verschwörerische Blicke zu. Was haben die vor, fragt sich Polyphem schon wieder. Dass er mittrinken darf, schmeichelt ihm.
„Talos, wir sind eigentlich gekommen, um dich zu loben. Stimmt‘s Brüder?“ fragt da Zeus in die Runde. Sie nicken eifrig, stoßen an, saufen weiter. Talos kommt das Lob doch etwas komisch vor. Was macht er denn schon besonderes? Er schützt Kreta vor Piratenschiffen oder anderen Kriegsschiffen. Er bewirft sie einfach mit Felsbrocken. Das ist seine Aufgabe. Zeus hatte ihn dazu verdonnert. Langweiliger Auftrag. Er rülpst.
„Trink, mein Lieber“, feuert ihn Zeus von neuem an, „trink!“
Was sie im Schilde führen, verraten sie natürlich nicht. Sie sind sich sicher, dass sich Talos hinterher an nichts mehr erinnern wird. Hauptsache, der Tempel und Europa versinken unter den riesigen Brocken. Ein Beben – werden die Menschen später erzählen. Der Götter Zorn. Aber warum?