18 Mrz

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 157

Das geheime Treffen der Ratsherren (Teil 3)

Was für eine Niederlage! Im Ratssaal überwiegen bei weitem die lauten Töne:

„Nur weil sie die Frau des Minos ist, meint diese Europa, sie können ohne uns regieren!“

„Ein böser Dämon ist sie, war mir immer schon klar!“

„Die bringt den bestimmt noch um!“

„Nee, glaub ich nicht, die möchte doch möglichst lange Vormund sein!“

Höhnisches Gelächter.

Die alten Ratsherren sind kaum wieder zu erkennen.

„Pallnemvus, verlang doch einfach vom Hof das geliehene Geld zurück! Dann werde die sofort mit uns reden, da kannst du sicher sein.“

„Mh, tja, das ist eine gute Idee, Gromdas, aber ich warte lieber, bis meine Schiffe aus Luxor zurück sind, dann sind die Kassen wieder voll und wir können den Leuten ein Fest schenken und dabei für uns werben.“

Gromdas ärgert sich. Dieser Pallnemvus kann einfach nicht den Hals voll kriegen. Ich sollte vielleicht die Hohepriesterin zu gewinnen versuchen, ihr ein paar üble Geschichten über diese Europa erzählen. Vielleicht schwenkt sie dann auf Seiten der Ratsherren um. Vielleicht, denkt Keltberias. Er wird versuchen, noch heute eine Audienz bei Archaikos zu ergattern. Er muss sich selbst ein Bild vom Krankheitszustand des Minos machen. Vielleicht wird er ja sogar wieder ganz gesund. Dann ist diese miese Vormundschaftsgeschichte sowie so im Nu nichts zerronnen.

„He, Collchades, was haben denn deine Spitzel herausbekommen?“ fragt hinter vorgehaltener Hand Berberdus, der Vorsitzende. Der zieht nur ratlos die Schultern hoch. Das soll wohl heißen: Nichts Neues.

Da klopft Berberdus mit seinem kleinen Hämmerchen auf sein Rednerpult und bittet die Ratsherren, Platz zu nehmen. Geraune, Gerenne, Stühle Rücken, Gemurmel, erwartungsvolle Blicke. Zwei alte Sklaven schließen die Doppeltür zum Saal. Es wird schließlich still.

„Der Vorfall sucht seines gleichen“, beginnt Berberdus. Gleich wird er von einem Zwischenruf unterbrochen:

„Es ist eine beispiellose Anmaßung einer Frau!“

„Bitte, wir sollten jetzt nicht den Kopf verlieren, bitte, meine Herren! Collchades. lass im ehemaligen Saal der Ölkrüge in den alten Schriftrollen nachschauen, ob ein ähnlicher Fall überliefert wird. Ich jedenfalls kenne keinen.!“

„Berberdus, es ist jetzt keine Zeit für lange Suchaktionen in alten Texten, es ist höchste Zeit, dass der Rat der Alten den Kretern vorführt, was es bedeutet, wenn man alte Gepflogenheiten einfach übergeht: Dann macht man sich schuldig – selbst die Höchststrafe – dem Minotaurus zum Frass vorgeworfen zu werden – ist da eine angemessene Antwort. Dem müsste dann selbst der sterbende Archaikos zustimmen.“

Einen Augenblick ist es leichenstill im Saal. Dann springen die ersten begeistert auf, Stühle kippen um, dröhnend schlagen sie auf dem Marmorboden auf. Zwischenrufe. Berberdus, der Vorsitzende, versucht die Kontrolle zurück zu gewinnen. Aber vergeblich. Die Ratsherren schütteln sich bereits die Hände, jubeln. Aus ihrer Sicht ist gerade per Akklamation eine Zustimmung erteilt worden, Europa zu bestrafen. Strengstens. Der hohe Saal hallt wider von den aufgeregten, wütenden und wild entschlossenen Ausrufen dieser alten Männer, die sich plötzlich wieder stark und wichtig fühlen. Sie werden ihre Macht nicht aus ihren Händen geben, erst recht nicht an eine fremde Frau.

Schließlich, bevor die ersten Ratsherren begeistert den Saal verlassen, erhebt Berberdus noch einmal die Stimme:

„Meine Herren, ich muss wohl nicht betonen, dass völliges Stillschweigen über unseren radikalen Entscheid selbst verständlich ist. Ich werde allerdings sofort alle notwendigen Maßnahmen einleiten.“

Da breitet sich eine selbstgefällige Zufriedenheit über die alten Gesichter aus: Gut so, Berberdus, gut so, du kannst dich auf uns voll verlassen, sollen Gesten und Mimik wohl zum Ausdruck bringen.

Dann wird es ungewöhnlich still im Palast des Minos von Kreta.

Nur oben, auf dem Gesims des hohen Palastgebäudes, hocken weise, alte Vögel, krächzen dann und wann leise, tippeln hin und her oder fliegen noch eine Runde über der weitläufigen Anlage. Sie kennen diese Stille über dem Gemäuer nur zu gut: jedes Mal gab es Ärger, großen Ärger unter den Menschen – danach, nach dieser trügerischen Stille.

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