Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 161
Drei fremden Gestalten mischen sich ein.
„Wir dürfen nicht länger zaudern!“ grummelt Gromdas vor sich hin, als sich die Ratsherren nach Europas Rede fluchtartig in Richtung Ratssaal begeben, um die nächsten Schritte zu besprechen.
„Bin völlig deiner Meinung“, kommentiert Zygmontis leise den Aufruf seines Ratskollegen.
Pass doch auf, du Trottel!“ faucht da Berberdus einen älteren Herrn an, der ihn fast zum Stolpern gebracht hätte.
„Verzeih, Berberdus, aber ich möchte mit dir reden!“
Berberdus schaut verdutzt den fremden, alten Mann von der Seite an. Sollte ich den kennen? Ein ungutes Gefühl geht ihm dabei durch Mark und Bein. Wer weiß, wo für der aufdringliche Kerl nützlich sein kann, geht es ihm kurz durch den Kopf, wer weiß.
„Gut, gut – was kann ich denn für dich tun?“ geht er breit lächelnd auf Zeus ein. Die Ratsherren verschwinden schon im Ratssaal, Berberdus aber bleibt stehen und schaut erwartungsvoll auf den fremden Alten.
„Die beiden Frauen werden mächtiger und mächtiger. Das tut Kreta gar nicht gut – oder?“
Berberdus verschlägt es die Sprache. Genau dieser Gedanken war ihm selbst gerade durch den Kopf gegangen. Flüsternd kommen sie dem Eingang zum Ratssaal näher und näher. Der Fremde drängt ihn hinein und kommt einfach hinterher, bleibt hinter einer Säule stehen und hört zu, was Pallnemvus gerade sagt, während auch Berberdus seinem angestammten Sitzplatz zustrebt. Er ist völlig verwirrt. Wer ist dieser Mann? Warum habe ich ihm den Eintritt nicht verwehrt? Was hat er vor? Ist es vielleicht ein Attentäter?
„Werte Ratsherren“, beginnt gerade Collchades die Runde zu eröffnen, „jeder Tag, den wir tatenlos verstreichen lassen, schwächt unsere Position, das wisst ihr so gut wie ich!“
Er macht eine längere Pause, schaut dabei mit finsterem Blick in die Runde, und fährt dann fort:
„Wir hätten gar nicht erst zulassen dürfen, dass sie mit der Fackel den Katafalk entflammt, niemals. Für die Kreter ist sie jetzt die Herrin über die Insel!“
Zeus, der hinter der Säule alles gut mithören kann, fast sich ein Herz und tritt aus seiner Deckung hervor:
„Und sie wird es von Tag zu Tag noch mehr werden!“
Die alten Männer drehen sich erschrocken um. Wer ist das? Wer hat ihn herein gelassen? Was will der? Für Augenblicke sind die Ratsherren völlig sprachlos, dann ergreift Berberdus das Wort:
„Fremde haben keine Zutritt zu Sitzungen des Rates. Und wer bist du, dass du so sprichst?“
Die Ratskollegen nicken, sie sind nun erst recht neugierig, wer da so mutig ihre eigenen Gedanken laut ausspricht.
Zeus ist klar, dass jetzt seine Pläne doch noch zum Zuge kommen könnten, wenn er diese Männer für sich gewinnen sollte.
„Ich weiß, ich weiß. Ich bin neulich mit dem Schiff des Chaturo aus Sidon gekommen, hatte dort das Orakel im Tempel des Baal befragt. Der Tod des Minos stünde vor der Tür, so ließ es sich hören, und danach gäbe es Streit, den eine Frau gewinnen würde, wenn die Männer es zulassen.“
Es wird leichenstill im Saal. Hektisches Geflüster, hektische Gesten, während Zeus weiter nach vorne kommt. Alle starren ihn an. Neben einem Grausen wächst gleichzeitig ein wütender Wille in ihnen, als sie die Worte des Fremden auf sich wirken lassen.
„Und gab das Orakel einen Hinweis, wie wir das verhindern könnten?“ fragt Zygmontis und gibt so Zeus das nächste Stichwort zu seinem Plan (Insgeheim denkt er noch – hoffentlich sind meine beiden Brüder bei Europa und der Hohepriesterin genauso erfolgreich wie ich):
„Ein Bote aus Sidon, wo Europa ja herkommt, sollte ihr einreden, dass sie unbedingt das Orakel des Baal befragen muss. Und auf der Reise dorthin könnte es ja ein unvorhersehbares Unglück geben – Sturm, Schiffbruch, Untergang.“
Kreidebleich die Ratsherren. Stille, Grabesstille. Und bevor die Ratsherren weiter in ihn dringen, wendet sich Zeus wortlos zum Ausgang und lässt die alten Männer ratlos zurück. Ratlos? Nein. Sie wissen zwar nicht, wer dieser Fremde aus Sidon eigentlich ist, aber sie wissen nun, wie sie Gutes für Kreta tun können. Wie sie diese anmaßenden Frauen aus dem Palast und dem Tempel der großen Göttin vertreiben könnten – ohne dass sie als die Verursacher dastehen werden.
Später sieht man drei alte Männer im Hafen auf den zusammengerollten Netzen der Fischer sitzen. Sie scheinen gute Laune zu haben, sie lachen viel, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, sie haben sich anscheinend viel zu erzählen, denn auch Poseidon und Hades waren bei Europa und Chandaraissa, der Hohepriesterin, wichtigtuerisch zu Gange gewesen.