Europa – Fortsetzung der alten Geschichte (Mythos # 22)
Europa, großherzig sich und ihre Botschaft verschenkend
Archaikos, der Minos von Kreta, wankt auf seinem Thron. Den misstrauischen Höflingen mag es wie Abwägen scheinen, wie er den Kopf hin und her wiegt. Aber Europa weiß es besser: Sie hat ihn verzaubert – mit einem langen und vielsagenden Blick. Jetzt atmet sie tief durch und wartet, was weiter mit ihr geschehen wird. Der altehrwürdige Berater des Minos von Kreta, Jadon, der schon dem Vater von Archaikos einflüsternd beigestanden hatte, tritt nun auf einen Wink des Archaikos dicht neben den Thron und spricht lange und leise auf ihn ein. Archaikos kann dabei seinen Blick nicht von der fremden Frau wenden. Europa steht aufrecht und lächelnd einfach da – die Mienen der Ratsherren sagen recht deutlich, dass sie diesen Auftritt völlig ungehörig finden. Archaikos schnappt nach Luft, nickt, Jadon zieht sich in ehrfurchtsvoller Verbeugung verharrend demütig zurück. Alle warten gespannt auf das vernichtende Urteil, das aber nicht kommt. Stattdessen entlässt mit herrischer Geste der Minos die lauernde Meute alter Männer. Europa spürt lustvoll den Widerwillen der sich zurückziehenden Versammlung.
Mit hohlem, schwerem Grollen fallen die Flügeltüren ins Schloss.
Und wieder ist es völlig still im Saal.
Mit einem tiefen Seufzer erhebt sich Archaikos von seinem Thron – immer noch sind seine Augen wie gebannt auf Europa gerichtet – jetzt huscht sogar ein feines Lächeln kurz über sein Gesicht, während er die rechte Hand ausstreckt. Europa tut es ihm gleich. Als sich ihre Hände berühren, läuft beiden ein wohliger Schauer über die Haut.
„Komm!“
Wie der Gong zur Einladung zu einem großen Fest, so füllt dieses eine Wort die weite leere Halle. Für einen Augenblick schließt Europa die Augen. Sie weiß, sie ist gerettet. Die eben noch drohende Gefahr hat sich schlagartig in lustvolles Sehnen verwandelt. Seine warme Hand in ihrer wirkt wie eine alles verändernde Traumlandschaft, in die sie nun gemeinsam gehen.
Dann reißt er sie mit sich fort. Später wird sie gar nicht mehr sagen können, wie lange es dauerte, bis sie im innersten Teil des Palastes angelangt waren. Waren sie gelaufen? Hatten sie gar gekichert? Oder möchte sie nur, dass es so gewesen war?
Nackt sitzen sie erst in einem flachen Wasserbecken. Feucht umgibt sie warme Luft. Sie reiben sich mit duftendem Oel gegenseitig die Haut ein. Langes Haar schwimmt wie ein dunkler Atoll um ihren Kopf. Er kann sich nicht satt sehen an ihr.
Dann beginnt er sie zu streicheln. Mit seinen Händen und seinen Lippen, den bebenden. Seine Nasenflügel zittern bei jedem Atemzug. Dabei flüstert er ihren Namen, immer wieder. So als ob er ihn erst noch üben müsste. Als wäre er eine Zauberformel. Schließlich lässt sie sich gegen die schräge Beckenwand drücken. Staunend schaut sie ihn an, wie er langsam über sie kommt, langsam in sie eindringt. Gerne umschlingt sie ihn mit ihren Armen. Ihr wohliges Stöhnen aalt sich dabei wie ein leises Echo in der feuchtwarmen Luft. Die oelige Oberfläche des in Wallung geratenen Wassers versucht die Bewegung der beiden Körper zu spiegeln. Aber es gelingt ihr nicht. Zu unruhig, zu heftig bäumen sich die beiden gegeneinander auf. Da ist keine Zeit mehr für ein völlständiges Bild, da stürzen Gefühle, Augenblicke, Gesten in einen seeligen Abgrund reinen Vergnügens. Selbst als die Wucht des Glücksmoments zu verebben scheint, hört sie ihn weiter genussvoll flüstern: Europa!