Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 71
Alles hängt mit allem zusammen, murmeln gelassen die Winde.
„Chandaraissa hat sich so verändert, findest du nicht auch?“ fragt Thymbolé in die wohltuende Mittagsstille hinein. Entspannt liegen die vier jungen Priesterinnen in ihrer Mittagspause in ihrem Zimmer auf kühlenden Kissen und erholen sich von anstrengenden Tanzstunden heute vormittag. Europa und Chandaraissa hatten mit ihnen geübt und geübt und geübt.
„Ja, das ist mir auch aufgefallen. Komisch, nicht?“ sinniert Lubsósa vor sich hin.
„Wieso komisch? Das ist doch ganz einfach, wieso“, wirft kopfschüttelnd Ralitáwa dazwischen.
Jesibána kann nur staunen. Ihre Freundinnen können wie aus dem nichts ein kleines Streitgespräch vom Zaun brechen und sich hinterher wundern, wie das nur wieder passieren konnte.
„Ach ja?“ antworte Thymbolé mit leicht erhobener Stimme. Sie will Lobsósa, ihre beste Freundin, in Schutz nehmen. Immer muss sie Streit suchen, Ralitáwa.
Und schon kommt ihre Antwort:
„Was hat sich denn verändert? Mh? Unsere Hohepriesterin hat sich verliebt. Das ist doch sonnenklar – oder?“
Alle halten den Atem an. Wenn das jetzt Chandaraissa hören würde!
„Und in wen?“ fragt Lubsósa in die Stille hinein.
„In wen? In wen? In Europa, in wen denn sonst!“
Jetzt ist es noch stiller als vorher. Dann geht ein leises Gekicher los, das immer lauter wird, bis sie alle loslachen.
Im selben Moment geht die Türe auch, Sarsa ist es. Der Schreck, der den vieren in die Glieder gefahren war, wandelt sich gleich wieder in Gekicher um.
„Was ist denn hier los?“ fragt Sarsa mit großen Augen und strahlendem Lächeln. „Hat jemand eine neue Geschichte über Sardonios erzählt?“
Jetzt müssen sie alle noch mehr lachen. Dabei reden sie laut durcheinander, klatschen sich in die Hände, fahren sich durchs offene Haar und ziehen Sarsa zu sich auf die Kissen hinunter. Eine wahre Kicher-Orgie ist im Gange.
Da stieben vor Schreck sogar die vorwitzigen Elstern oben am Dachrand des großen Tempels auseinander und davon.
Chandaraissa hört es auch, das Lachen der jungen Frauen. Es freut sie. Obwohl sie nicht weiß, dass eigentlich sie selbst der Anlass ist für dieses Lachgewitter. Und Europa, die gerade über ihre Träume der letzten Tage nachdenkt, lässt sich auch gerne aus ihren sorgenvollen Überlegungen herausreißen.
Wie hat sich doch ihr Leben geändert, seit sie dem Fremden in der Höhle davongelaufen ist!
Es muss wohl alles mit allem zusammenhängen, denkt sie jetzt zufrieden. Die Freude mit dem Leid, Werden und Vergehen und Neuanfang auch mit Erinnern, Vergessen und Tagträumen. Jederzeit bin ich aufgehoben im Schutz der Göttin, die mich stets begleitet – mit ihrem Lächeln, ihrer Wärme, ihrer Zuversicht und ihrer Liebe.