Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 76
Die Attentäter verpassen ihr Attentat
Thortys und Nemetos – immer noch völlig erregt von dem verführerischen Bild, das sich vor ihren Augen gerade abspielt – werden brutal aus ihrer Gier hinaus gezerrt, als die zuschauenden Frauen, aber auch die atemlosen jungen Priesterinnen nun laut klatschen und zu jubeln beginnen. Chandaraissa und Europa freuen sich gerne mit. Ihr angekündigter Festbeitrag kommt gut voran, denken die beiden. Archaikos wird Augen machen. Das wird ein Fest!
Die Nachmittagssonne hüllt das Schauspiel, das da gerade im großen Tempel der großen Göttin zu Ende geht, in warmes, weiches Licht. Die beiden Männer stehen da mit offenem Mund und erregten Gliedern. Fassungslos. Da fällt ihnen wieder ihr Auftrag ein. Sie sehen gerade noch, wie diese Europa, diese gefährliche Fremde, mit der Hohenpriesterin im Tempelinneren verschwindet. Die sollte jetzt in ihrem Blut liegen.
„Mist!“ zischt Nemetos wütend. Thortys nickt missmutig.
„Warum haben wir es nicht getan?“ flüstert er und sucht mit der freien Hand den Dolch unterm Gewande. Die andere Hand stützt ihn an der dicken Säule ab. Gleichzeitig gehen den beiden üble Gedanken durch den Kopf: Sardonios, ihr Herr und Auftraggeber, wird toben. Nein, er wird nicht nur toben, er wird strafen. Und wie! Als sich die beiden nun erschrocken anschauen, sehen sie die Angst in den Augen des anderen überdeutlich. Sie wissen, dass es keine Ausreden geben kann. Sie sind erledigt.
Da kommen Sarsa und Belursa – noch ganz außer Atem und in ihren bunten, wehenden Tüchern – auf sie zugelaufen. Sie wundern sich. Warum sind ihre Männer überhaupt hier? Woher wussten sie von dieser Tanzprobe?
„Hat es euch gefallen?“ fragt Belursa schnippisch und immer noch schnaufend – so sehr hat der Tanz sie angestrengt.
„Klar, klar – wir, äh, also, das sah richtig gut aus, stimmt´s?“
„Ja, seh ich auch so, genau“, plappert Thortys hinterher und muss dabei die ganze Zeit auf ihre Brüste schauen, die sich unter den durchsichtigen Stoffen heben und senken. Die beiden Frauen können ein Lachen kaum unterdrücken.
„Was macht ihr denn eigentlich hier, ihr beiden? Habt ihr nicht Dienst im Palast?“
Nemetos fühlt sich völlig überfordert mit dieser Frage. Er hatte ja gar keine Zeit, sich eine kluge Ausrede auszudenken. Hilfesuchend blinzelt er zu seinem Kumpel rüber. Der guckt aber auch nicht besser aus seinem schmutzigen Hemd. Sarsa und Belursa warten ungeduldig auf Antwort, aber da kommt keine.
„Habt ihr die Sprache verloren?“ bohrt Sarsa nach.
„Nein, nein, wieso denn? Wir…wir hatten gerade eine Freistunde, da dachten wir, wir schauen einfach mal, was unsere Frauen so machen…“
Nemetos ist mächtig stolz, dass ihm solch ein kluger Satz kam.