Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 78
Auf der Flucht vor Menschen und Göttern
Nemetos hastet über Stock und Stein, hechelnd hinterher sein Freund aus guten Tagen, Thortys. Die Angst steckt beiden in den Knochen. Die untergehende Sonne scheint sie von Westen her rot und hämisch zu begrüßen. Kommt nur, ihr zwei Schlaumeier, in Hesperien werdet ihre goldene Äpfel finden. In ihren Ohren klingt es wie purer Hohn. Ob sie jemals so weit kommen werden? Und nur nicht umdrehen! Der Herr der Zahlen und Namen hat bestimmt schon erfahren, wie jämmerlich sie versagt haben. Sicher schickt er schon seine Häscher los, sicher.
„Jetzt lass dich nicht so hängen, wir müssen schneller machen!“ ruft Nemetos keuschend nach hinten. Thortys im Wechselbad von Wut, Angst und Selbstbetrügereien hält dagegen:
„Weißt du denn überhaupt, wie wir da hin kommen, zu deinem Schafonkel?“
Nemetos traut seinen Ohren nicht. Macht der Witze, will der wieder alles besser wissen? Ob sie einen brauchbaren Schlafplatz finden werden?
Oben im Olymp sitzt Zeus, der zornige Obergott, alleine auf seinem Flies und legt sich gedankenschwer neue Rachepläne zurecht. Denn seine Idee, zum Frühlingsfest die Tanzfeier der Priesterinnen zu stören, um Europa doch noch so richtig zu schaden – dieser undankbaren Prinzessin – scheint ihm immer wieder als zu schwach, als zu wenig vernichtend, wenn auch seine zwei Brüder lauthals zugestimmt hatten. Hatten sie das überhaupt? Zeus hat es schon vergessen. Ist ja auch egal. Als er jetzt die beiden erfolglosen Attentäter über das Hochland seiner Lieblingsinsel laufen sieht, kommen ihm gleich neue Ideen für einen vielleicht erfolgreicheren Plan, Europa aus dem Weg zu räumen und alle Frauen für immer zu bestrafen für diese Kränkung, die ihm von Europa angetan wurde: Warum nicht diese beiden Angsthasen dazu benutzen? Gute Idee, denkt Zeus, selbstzufrieden. Sollte er seine Brüder miteinbeziehen? Da erlöst ihn ein gnädiger Mittagsschlaf von seinen quälenden Gedanken. Und schon echot sein Schnarchen durch den hellhörigen Olymp.
Keine Höhle, nirgends. Zu blöd aber auch. Nemetos und Thortys sind nicht nur müde vom Laufen, sie haben auch Hunger. Schließlich geben sie die Suche nach einem sicheren Schlafplatz auf, legen sich einfach hinter einen klobigen Felsbrocken und schlafen sofort ein.
Im Palast hat sich Sardonios, der Herr der Zahlen und Namen, auch schon einen feinen Plan ausgedacht, wie der zufällige Unfall seiner beiden Gefolgsleute, Nemetos und Thortys, bewerkstelligt werden könnte. Ihre beiden Frauen, Sarsa und Belursa, wird er als Werkzeuge benutzen. So wird niemals auch nur der leiseste Verdacht auf ihn zurückfallen können. Jetzt wartet er auf die beiden Priesterinnen, um sie in seinen Mordplan einzubauen. Die Ahnungslosen. Sardonios strotzt wieder vor Selbstvertrauen. Und wieder steigt ihm seine Macht zu Kopfe. Ein berauschendes Gefühl. Ein Genuss, lustvoll ohne Ende.