Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 99
Drei Irrfahrten und eine Traumgeschichte.
Die drei göttlichen Brüder – Zeus, Hades und Poseidon – liegen müde im warmen Ufersand Kretas, kichern vor sich hin und freuen sich wie Schneekönige in der Sonne: Alles läuft wie geplant. Agenor ist dumm dreist in sein Verderben gerannt und mausetot, die Brüder Europas haben sie in alle Himmelsrichtungen verstreut und Europa selbst ist zwar dem Anschlag eigenartigerweise nicht zum Opfer gefallen, aber das Basteln neuer Pläne macht ihnen inzwischen so richtig Spaß. Sie werden ihrem Bruder Zeus schon noch seine Genugtuung verschaffen, da sind sie sich ganz sicher.
Gleichzeitig treffen die drei Brüder Europas, Kilix, Kadmos und Phoinix in ihren jeweiligen Zielhäfen ein: Bei ruhiger See war Kilix im Abendlicht in Piräus angekommen und beginnt gleich mit seinen Erkundigungen. Kadmos sitzt bereits in einer dunklen Spelunke in Theben am Nil und fragt seine Zechkumpanen, ob jemand von ihnen Europa gesehen habe. Und Phoinix hört sich auf Delos gerade den Spruch des Orakels an: „Sei unverzagt, die Wahrheit wird dir bald schon selbst begegnen!“ Wie soll er das verstehen? Wird er hier seine Schwester Europa treffen? Wird er mit ihr zusammen dann zu ihrem Vater Agenor reisen?
Währenddessen ist die Hohepriesterin Chandaraissa mit dem Rat der Alten zusammen getroffen. Sie will die misstrauischen Ratsherren überzeugen, dass eine Ehe zwischen dem Minos von Kreta und Europa allen zugute kommen wird. Zumal Sardonios nun nicht mehr Unheil stiften kann.
„Was macht euch da so sicher, Hohepriesterin?“ fragt Berberdus, der Anführer des Rates in süßem Ton. Chandaraissa weiß, dass er ihr nicht gewogen ist.
„Nun, werter Berberdus, ich bete seit der Ankunft Europas jeden Tag zu unserer großen Göttin“ – alle erheben sich, verneigen sich, strecken die Arme hoch und murmeln dreimal hintereinander: „unsere große Göttin, unsere große Göttin, unsere große Göttin!“ – und setzen sich wieder, Chandaraissa macht eine lange Pause, dann fährt sie fort:
„Und jedes Mal erscheint sie mir dann nachts im Traum, lächelt und raunt: Von Kreta wird durch sie eine Ära des Friedens und der Wohlstands ausgehen, der bis zum Festland strahlen wird. Ich halte meine schützende Hand über sie und über die Insel.“
Zuerst sind sie sprachlos, die Ratsherren, wechseln bedeutende Blicke, dann beginnt ein Raunen, schließlich ergreift Berberdus noch einmal das Wort:
„Wenn du wahr sprichst, dann ist es unsere heilige Pflicht, den Minos von Kreta in seiner Absicht, Europa zu heiraten, zu unterstützen “
Die Ratsherren nicken und machen bedeutende Mienen dazu. Chandaraissa lächelt milde und entlässt die alten Räte mit großer Geste und dem Satz:
„In den Annalen der Insel werdet ihr später als die Väter einer glücklichen Ära genannt werden.“ Stolz verlassen sie den Audienzsaal. Die Hohepriesterin eilt zum Tempel zurück. Sie muss Europa von diesem Treffen erzählen, sofort.