Europa – Meditation # 169
Wo Schatten ist, muss auch Licht sein.
Das unersättliche Wachstumsmantra gerät ins Taumeln, die Wachstumsraten werden kleiner und kleiner, die Müllberge dagegen größer und größer. Und die Prophezeiungen, so das Glück des Menschen erarbeiten zu können, erweisen sich mehr und mehr als Trugschlüsse. Nun kommt es wie ein Bumerang von Osten her zurück. Durch alle Ritzen und Spalten, zu Lande wie zur See, überall macht es sich leise, aber nachhaltig breit. Ein bekanntes Muster in fremden Gewande?
Jahrhunderte lang segelten die Schiffe von Europa um die Welt. An Bord nicht nur Krankheitskeime, nein, auch neue Waffentypen, neue Götter, neue Münzen, neues Denken.
„Das bisher Unermessliche ist nur so lange unermesslich, wie wir es nicht messen. Wir wissen, wie man das macht!“ Die damit Beglückten hatten natürlich ordentlich dafür zu zahlen.
So oder so ähnlich lautete dieses Mantra der Christen, die eben auch ein Kreuz dabei hatten – das Symbol ihres gnädigen Gottes.
Nach und nach gerät allerdings der Glaube in den Hintergrund, in die Privatsphäre, als wäre es bloß noch ein familiäres Ereignis, das man dann und wann in feierlichem Rahmen (etwa Weihnachten) zu gestalten weiß.
Schließlich schien alle Welt dem Muster zu folgen, das Ende aller Ideologien wurde sogar ausgerufen: es gibt nur noch die e i n e Welt, die ehemals von Europa aus erdachte und exportierte. Demokratie und Kapitalismus.
Aber die Schatten werden länger und länger: Einsamkeit in großem Maßstab, Süchte in noch größerem, Ängste auch. Das betrifft die Seelen der Menschen; die Natur, deren Teil sie alle nach wie vor sind, ächzt und stöhnt in deren Schatten auch.
Es ist wie in einem Bild aus einer kleinen Geschichte von Robert Musil: da verschwindet nach und nach ein kleiner Junge hinter der eigenen Fettwand, um sich zu schützen. Manchmal sieht man ihn aus seinen kleinen Augen winken, doch sonst ist nichts mehr von ihm zu sehen, nur noch Fett.
Der Abendländer scheint auch solch ein kleiner, ängstlicher Junge zu sein, der sich hinter seiner alt und schrumpelig gewordenen Fettwand versteckt und manchmal noch winkt und winkt. Wohlstandsfett. Blutdruck und Puls werden schwächer und schwächer. Inmitten von Müllhalden.
Begabt, wie die Species nach wie vor zur Welt kommt, beginnt der eine oder die andere im Verborgenen neu nachzudenken, denn die gewohnten Muster sind eben nichts als Muster, die man auch ersetzen kann, wenn man will. Das wirft dann auch ein völlig neues Licht auf sich und die Dinge. Und auf die Schlange Kaa, die sich da säuselnd – nun aus Osten – lautlos anschleicht und neue „Freunde“ sucht. Wer hätte das gedacht? Die Fremde, die da leise anklopft, bringt als Geschenke tatsächlich das mit, was der Europäer als sein eigenes verbrauchtes Produkt erkennt, nun nur eben in fremdem Gewande…aber ein Auslaufmodell.