Europa – Meditation # 217
Bescheidene Fragen an Europa, die weitsichtige Frau.
Ist dir auch aufgefallen, dass viele Menschen – junge wie alte – in diesen Tagen in Europa einen eher erschöpften Eindruck machen?
Ich sehe es mit Sorge. Aber auch mit Hoffen.
Hoffen? Worauf denn hoffen?
Nun. War den Europäern nicht die Neugierde immer eine Kraft für Veränderungen?
Das stimmt. Aber diese Neugierde ist jetzt wohl verbraucht. Europa schaut voller Unbehagen auf China, Indien und Afrika. Wie wirkt das auf dich, Europa, du weitsichtige Frau?
Es ist die Gelegenheit, endlich den Blick auf sich selbst zu wenden, inne zu halten und den Windschatten der Geschichte zu nutzen, Atem zu holen, sich zu besinnen?
Aber worauf denn? Sind die globalen Bedrohungen denn nicht überwältigend?
Nur wenn man sie im eigenen Blick noch vergrößert. Sonst kann doch der nervende Dauerton der dümmlichen Werbeflimmerdusche oder der Dauerschleifen-Katastrophen-Bilderflut nur dazu führen, sich angewidert und gelangweilt abzuwenden.
Und dann?
Ja, dann, dann öffnet sich nach und nach der Blick auf das Naheliegende, das Vertraute. Das kann man nämlich nur langsam und mit Geduld wahrnehmen. Und schafft Zutrauen, Wärme, Geborgenheit.
Klingt verlockend, liebe Europa, ist aber wohl eher eine Utopie – oder?
Nein, überhaupt nicht – „sieh, das Gute liegt so nah!“ – wir Europäer müssen nur wagen, alte Muster, die wir vor langer Zeit uns selbst übergestülpt hatten, abzustreifen. Als würde man sich von einer schweren Last befreien.
Europa, was meinst du mit alten Mustern?
Nation, Staat, Individualismus pur, Genauigkeit, Tempo, Wachstum…
Moment, Moment, liebe Europa, weitsichtige Frau, willst du damit etwa sagen, wir Europäer sollten uns von unserem selbst erfundenen Fortschrittsglauben verabschieden?
Der eigentliche Fortschritt liegt im Überwinden dieses Fortschrittsglaubens. Wir haben zu lange auf die eine, kleine Karte gesetzt, die uns vorantrieb.
Und welche wäre das gewesen?
Alles in kleine Quadrate einzuteilen, diese genau auszumessen und alles und jeden darin zu verorten. Damit glaubten wir die Herren der Natur und der Welt werden zu können. Jetzt stolpert selbst der letzte über den Scherbenhaufen solcher Denkart und ist verdrossen.
Und du glaubst, liebe Europa, weitsichtige Frau, wir Europäer könnten uns aus dieser Verdrossenheit befreien?
Ja, das könnt ihr – aus eigener Kraft.
Du machst mir sehr neugierig, liebe Europa, weitsichtige Frau, erzähl!
Langsam, langsam. Eins nach dem anderen und morgen mehr davon.