Europa – Meditation # 247
Augenblicke der Wahrheit – nutzen wir sie!
Die weißen Männer, die neulich grölend und Fähnchen schwenkend die Stufen zum Kapitol hinauf stolperten, scheinen eins gemeinsam zu haben: Nicht lange nachdenken, einfach drauflos reden und dann auf sie mit Gebrüll. Und sich immer schön in der Wolke mit seinesgleichen rückkoppeln und nur aus dem einen Sender seine „Infos“ abrufen und selfies machen, viele, viele, viele.
Und die gebildeten Europäer (genauso wie die gebildeten Eliten an der Ost- und Westküste drüben) werden in so einem Augenblick sicher kopfschüttelnd sagen: „Ich fass es nicht, ich fass es nicht!“
Als wäre da ein Typ vom Himmel gefallen, der bis dahin noch gar nicht aufgetaucht sei.
Dabei ist es mit solch einem Erscheinungsbild genauso wie mit einem Eisberg: Die Spitze wird sichtbar – z. B. auf den Stufen eines Parlamentsgebäudes – doch der tiefe und schwere Sockel, der bleibt der Betrachtung unsichtbar. Aber um den geht es – hier wie drüben in Übersee – es sind die vielen, vielen Singles, Couples und Families, die kaum am Tisch der Bildung teilgenommen haben oder wenn, dann nur üblen Fraß vorgesetzt bekamen. Und seitdem mehr oder weniger am Hungertuch nagen müssen, denn gute Jobs sind eben nur mit guter Bilderung zu haben und die ist furchtbar teuer. Das Bildungssystem im Mittleren Westen und im Rostgürtel ist derart marode, vergammelt und verflacht, dass Wissen über sich und die Welt – und dann auch noch in kritischer Perspektive – kaum mehr angehäuft werden kann. Selbst resiliente Kinder haben hier schlechte Karte. Und hier in Europa – und speziell in Deutschland – hat auch seit vielen Jahren ein Absinken, Abflachen der Bildungsangebote statt gefunden, dass auch hier den meisten nicht mehr ein Weg zu einer kritischen Betrachtung von Ich und Welt ermöglicht wird.
„Man sieht nur, die im Lichte wandeln, die im Dunkeln sieht man nicht!“
Um im Bild vom Eisberg zu bleiben – es läuft einem eiskalt den Rücken herunter, wenn man untersucht, was heute junge Menschen (wir reden hier natürlich nicht von denen, denen eine teure Ausbildung gekauft werden kann) als Basiswissen mit bringen, wenn sie ins Erwachsenenleben eintauchen.
Und jetzt in der Pandemie?
Jetzt ist so etwas wie die Stunde der Wahrheit: Wenn jetzt die Kinder in digitaler Sprachlosigkeit vor sich hin tippend alleine lernen sollen, dann lügen wir uns ganz schön was in die Tasche. Da amüsiert sich doch nur noch das Kurzzeitgedächtnis. Wenn überhaupt. Das Langzeitgedächtnis müsste nämlich in der wirklichen Welt geübt, bedient und lobend gepflegt werden, doch dazu fehlen jetzt die Rahmenbedingungen.
So sollten wir nicht fassungslos vor den Bildern mit jenen weißen Männern stehen, sondern ganz schnell und ganz intensiv in kleinstem Kreise daran arbeiten, trotzdem unsere Kinder beim Lernen nicht allein zu lassen.