Europa – Meditation # 290
Von einem schönen Schein zum nächsten.
Wahlen stehen in Europa vor der Tür. Kleine und große. Aber zwischen was ist denn da zu wählen? Die Wahlplakate trällern ihre Lockrufe wortarm, aber unerbittliche ins Land unter die Leute. Und die Kandidaten versuchen sachlich und verbindlich zu bleiben. Wir alle sind gute Schauspieler, vor allem als Politiker, Manager, Amtsträger. Um gewählt zu werden, ist es in diesen Tagen wohl angesagt, ordentlich Kreide zu fressen, denn jeder möchte natürlich ein Bild abgeben, in dem er vorteilhaft, eben wählbar erscheint.
Aber der Schein trügt.
Wir hier in Europa wissen es nur zu gut, wie sehr die Medien dabei helfen, den schönen Schein schön scheinen zu lassen. Stichwort Volksempfänger als historisches Beispiel zum Beispiel.
Doch zurück ins Heute:
Da gibt es den forschen Mann aus dem Süden Deutschlands. Groß, robuste Stimme, selbstbewusster Auftritt und dann diesen kleinen Teddybären aus dem Westen. Beide sind aufeinander angewiesen – im Moment – also lächeln sie ihr wirkliches Gesicht schön weg, damit niemand sieht, dass der eine recht wenig hält vom anderen. Die Masken sitzen wie angegossen. Und beide starren wie gebannt auf Zahlenreihen, Tabellen, Statistiken und Grafiken. Umfragen, jeden Tag. Ein launisches Instrument. Und für Interpretationen ein weites Feld. Macht diktiert die Maskerade mit Macht.
Oder Macron und Merkel. Leutselig polieren sie an ihrem Bild der rechtschaffenen Verantwortlichen. Längst wissen sie, dass in Mali – wie in Afghanistan – kein Blumenstrauß zu gewinnen ist. Würden sie aber jetzt sagen, es ist ein Fehler, wir steigen sofort aus, wäre der Schaden für die eigene Partei desaströs. Die Fehler müssen also die Vorgänger gemacht haben. Die beiden wollen mutig Schadensbegrenzung betreiben. Loyal und sachlich. Die vierte Gewalt im Staat sollte wirklich ihren Einfluss nutzen und die Chefs und Chefinnen der Regierungen damit nicht durchkommen lassen.
Aber bis in die Sprache hinein ist der andauernde Selbstbetrug nur zu offensichtlich: In der Zeitung kann man gerade in die Bezug auf Afghanistan die Überschrift lesen:
„Gescheiterte Mission“.
Scheitern verbindet der kundige Zeitgenosse sofort mit Tragik und Mission mit „großer Auftrag“ – so wird dann bereits in der Überschrift die erste Nebelkerze geworfen. Sollten nicht wenigstens die Journalisten es besser wissen? Mit solcher Sprache machen sie sich zu Kollaborateuren der Akteure.
Von wegen Tragik!
Die Rüstungsindustrien hüben wie drüben haben blendend verdient in diesen verlorenen zwanzig Jahren in Afghanistan. Saudi-Arabien wurde gleichzeitig geradezu verwöhnt mit High-Tech-Lieferungen! Und die als Rache und Strafaktion geplante Invasion lief ordentlich aus dem Ruder. Aber Irrtum und Fehlentscheidungen sind keine Begriffe, die rechtschaffene Politiker und Militärs gerne auf ihren Fahnen wehen sehen wollen. Und dass die Familien, die Tote zu beklagen haben, mit Scheitern auch nicht getröstet werden können, ist doch klar. Und Obamas großes Versprechen, Guantanamo aufzulösen, ist immer noch nicht eingelöst. Also nur Wortgetöse?
Von wegen Mission!
Die Afghanen hatten keinen Auftrag erteilt, auch die Völker in Amerika und Europa hatten keinen Auftrag erteilt. Der wurde erst einmal in kleinen Zirkeln der verantwortlichen Volksvertreter erfunden, dann als richtig befunden und forsch in die Medien posaunt. Der Präsident konnte jubelnd auf einer Rachewelle surfen. Das Publikum applaudierte beeindruckt und gerne. Und obwohl inzwischen die Medienvertreter übereingekommen sind, die 20 Jahre in Afghanistan als großen Irrtum von Anfang an zu kommentieren, wird mit einer Überschrift wie „Gescheiterte Mission“ wieder so getan, als wären der Präsident und seine Berater in Washington und die Paladine in Europa zu einem hehren Kreuzzug für die Werte des Abendlandes aufgebrochen.
Nichts davon trifft zu.
Es waren – wie bei jedem Krieg – beinharte Machtinteressen, die die Menschen antrieb; im Gefolge eine Presse, die zwar kritisch, aber dennoch zustimmend in den Chor mit einstimmte.