Europa – Meditation # 300
Die Claque und die Wutbürger in wildem Streit
Europa erlebt gerade eine Geschichte, die kein Märchenerzähler besser erfinden könnte. Die letzten Tage der Menschheit…großes Theater der Jasager und der Neinsager….doch leider schaut niemand zu, denn das Theater findet nicht mehr auf einer Bühne statt, sondern im banalen Alltag selbstgerechter Besserwisser. So oder so.
Hatten nicht längst große Geister wie Heraklit, Lukrez, Montaigne, Sterne, Rousseau und Hölderlin brauchbare Angebote gebracht, Frieden zu schließen mit sich und der großen Natur, die ohnehin macht, was sie will?
Wäre nicht ein „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ – Lied besser angesagt, als dieses öde Ich, Ich, Ich bin der klügste im ganzen Land?
Weil aber immer schon im Vorhinein scheinbar klar ist, wer warum Recht hat, ist der babylonische Turm wortgewaltiger Geröllhalden als solcher gar nicht mehr im Blick. Vernebelt, selbstverliebt gestikulieren die Akteure, die sich alle für bestens informiert und bestens logisch aufgestellt halten, aus dem Bauch heraus ihre unverdauten Gefühlssäuren auskotzend unablässig wie in Dauerschleife die immer gleichen Argumente wie giftige Pfeile abschießen, während in laborähnlichen, sterilen kleinen Räumen in Tiefschlaf versenkte überlebenswillige langsam wegsterben, ohne je wieder die lieben und vertrauten Mitstreiter zu sehen, zu hören, zu spüren, zu sprechen, zu lieben oder eben auch zu hassen.
Was ist eigentlich gemeint, wenn schon Aristoteles behauptet, der Mensch sei ein Gemeinschaftswesen? Dass sie sich in dieser Gemeinschaft gemeinschaftlich umbringen sollen, sich in unzähligen bunten Ich-Blasen aufpupen dürfen zu scheinbar selbstbewussten Riesen, die sich von niemandem sagen lassen wollen, wo es lang geht?
Was bedeutet denn das eitle Wort vom I n d i v i d u u m , das uns seit der sogenannten Aufklärung
(sind wir angesichts der derzeitigen Not nicht eher unaufgeklärter denn je und reagieren kopfloser als je gedacht?)
in den schillerndsten Facetten begleitet und vorführt, denn anderes als dass jeder ein Wunder an Varianz ist, ja, aber auch jeder ein zeitlebens hilfsbedürftiger Versuch bleibender Winzling, der nur einen kurzen Augenblick ein Da-Sein für sich in Anspruch nehmen darf, um dann wieder lautlos im chaotischen und unbegreiflichen Sternenregen zu verschwinden? Was helfen da die vielen europäischen Sprachen und Kulturen, wenn nicht dies als Botschaft immer wieder bescheiden auszusprechen:
Wir sind Teil des Fließens einer unendlichen Möglichkeit, die sich ab und an in kleine Teilchen verkörpernd verdinglicht, deren Glitzern und Farbenpracht auch ohne uns weiter strahlt und ist. Welch nutzlose Verschwendung eigenen Lebens, wenn es in solchem Geschrei sich meint austoben zu müssen und gleichzeitig schon der vorletzte Augenblick des eigenen Seins lautlos eingeläutet wird?