Europa – Meditation # 323
Die Angst hatte nur kurz Urlaub genommen.
Meinten wir hier in Europa. Die Gewöhnung an Todesstatistiken – der Pandemie geschuldet – nahm diesen ihren Horroreffekt. Die Buchungen für Urlaubsreisen sind auf dem besten Weg, durch die Decke zu gehen. Endlich? Nein. Denn die Europäer kommen aus dem Regen in die Traufe. Nun dieser irrsinnige Krieg Russlands auf ukrainischem Boden. Kommt nach der Angst vor der Pandemie jetzt die Angst vor dem Ende des exzessiven Konsumierens, auf das man nun schon seit zwei Jahren mehr oder weniger verzichten musste?
Covid-19 als unsichtbarer Feind und Todesengel war nie wirklich greifbar, immer dem Zugriff entzogen. Das brachte einige sogar auf die Idee zu glauben, es sei eine mutwillige Erfindung von machtgeilen Finsterlingen. Aber die Angst der meisten war da, führte zu Verhaltensänderungen, zur Verabschiedung von liebgewonnenen Gewohnheiten.
Und die Angst vor dem Klimakollaps? Schweren Herzens fand man sich bereit zu Kompromissen, aber dank der Konsumenten kommt man nur sehr schrittweise voran, wenn überhaupt. Dabei ist dieser Krieg, den die Erdlinge gegen die eigene Erde führen, längst sofort zu beenden. Zahlen belegen es. How dare you! Inzidenzien oder Co²-Werte erzeugen einfach nicht genügend Angst, um die unabwendbaren Veränderungen global zu starten. Jetzt.
Aber die Angst vor dem Krieg – mehr oder weniger vor der eigenen Haustür – scheint endlich Kräfte im Kopf und im Arm der Europäer freizusetzen, Verzicht nicht mehr als Einschränkung zu erleben, sondern als notwendiger Akt der Befreiung aus der selbstverschuldeten Sackgassen-Situation. Und das auch noch mit guten Gefühlen, denn die um sich greifende Solidarität beflügelt die ängstlichen Europäer zu einer nie für möglich gehaltenen Verhaltensänderungsbereitschaft (Monsterwort!). Der Begriff ein Monster, das Tun ein nicht für möglich gehaltenes Glück: „Memento mori!“ zaubert – wie aus dem Nichts – eine im Jetzt spontan gelebte Hilfsbereitschaft, die jenseits von Kosten, Preisen, Schulden das Leben als solches mit dem höchsten Preis versieht.
Das bis heute scheinbar selbstverständliche Muster, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu konsumieren – weltweit – entpuppt sich als eine irregeleitete Konditionierung („the american way of life“) zu Lasten derer, die es überhaupt erst ermöglichen. Über Nacht ist Sparen nicht mehr eine Haltung von Spaßbremsen, sondern eine Erlösung aus eher lächerlichen Zwängen. Dass weniger wirklich mehr sein kann – wer hätte das gedacht?! Statussymbole nur noch Fetische von Loosern!
Aber der homo sapiens sapiens hatte schon immer als besten Freund beim Überlebenskampf die Angst an seiner Seite. Sie beflügelt ihn zu ungeahnten Kraftanstrengungen. In diesen Tagen besteht sie darin, mit aller Kraft die Heizungen um zwei Grad zu senken, das Tempo herunter zu fahren, Leerstände mit Flüchtlingen zu füllen und Flugzeuge einzumotten.