10 Jan

Europa – Meditation # 372

Geldgier ist die Mutter aller Schlechtigkeit.

Brasilia und Washington machen es vor; wo und wer wird demnächst weiter machen? Das Gewaltmonopol des Staates wird zerfasert, weil die Inhaber und Verwalter desselben augenzwinkernd die rechten Chaoten gewähren lassen. Was geht da vor? Welche Dämme scheinen da aufzuweichen? Der brave Bürger ruft nach der ganzen Strenge der Justiz: „Sperrt sie weg!“

Und keiner scheint sich die Zeit nehmen zu wollen, einmal etwas länger und gründlicher darüber nachzudenken, wie aus diesen ehemaligen süßen Babys solche gewaltbereite Demokratieverächter werden konnten. Was ist da falsch gelaufen im Laufe dieser Biografien? Und was ist mit der Loyalität der Staatsdiener? Wieso kommt es auch da zu bedenklichen Erosionserscheinungen? Wie können die in Brüssel, die Korruptionsfälle verfolgen sollen, selbst zu korrupten Beamtinnen werden und sich Kinderwagenladungen mit frisch gedruckten Scheinen ins Apartment schieben lassen?

Es gibt diesen uralten Spruch – als Schüler musste ich ihn einst aus dem Alt-Griechischen übersetzen – Geldgier ist die Mutter aller Schlechtigkeit.

Es scheint, als würden die Schleusen gerade allenthalben geöffnet, als gehöre es zum Profil eines cleveren Zeitgenossen, nach außen weiter den biederen Bürger zu mimen und dahinter zu scheffeln, was das Zeug hält. Und abends an der Bar anzustoßen auf die eigene Unverfrorenheit und die peinliche Rechtschaffenheit der unfähigen Kontrolleure.

Bei gleichzeitiger Beschleunigung aller Wahrnehmungsprozesse – die Kinder werden fleißig mit digitaler Wucht eingeübt im Abwesend Sein – bleibt keine Zeit mehr, den babylonischen Geldturm in seinem rasanten Wachsen zu stoppen. Cum-ex, wirecard, Enron, Schneider sind nur die kleinen Spitzen des riesigen Eisberges, der da dröhnend ins Rutschen kommt und alles unter sich begräbt, was redlich noch besteht und arbeitet. Denn die deregulierte, größenwahnsinnige Börsenwelt saugt das Geld wie in einem überdimensionierten Staubsauger aus den sozialen Sicherungssystemen, lässt sie dann global auf jedwede geldgierige Meute los – Absprachen auf fallende Kursen haben da als besonders heikles Geschäft besondere Boni zu erwarten – , und die Stadtverordneten helfen fleißig mit, öffentliche Vermögenswerte zu verscherbeln – Schwimmbäder sind eben wirklich einfach zu kosten- und personalintensiv. Wahlen werden trotzdem gewonnen, weil sie inzwischen wie Werbespots inszeniert werden und längst als täglicher Konsum internalisiert und in unerbittliche Konditionierung einmassiert sind. Natürlich haben Jugendliche (s. das Beispiel Spanien oder Brasilien oder Duisburg) längst keine Berufsaussichten mehr. Randale und Alkohol plus schöne andere Drogen sind dann der Humus, auf dem die Bereitschaft mal ein Kapitol zu stürmen blüht und gedeiht.

Fazit: Die Zeit der verbalen Empörung des braven Bürgers ist vorbei. Geldgier und Schlechtigkeit paaren sich weiter und weiter. Dagegen können nur völlig neue Sinnangebote für ein gelingendes Leben gesetzt werden, die in einer völlig neuen Bildungsinitiative ihren Anfang nehmen müssen. Das ist eine epochale Aufgabe, atemberaubend, völliges Neuland.

Mut ist also gefragt. Mut, den Götzen Geld nicht länger mit anzubeten. Mut, das Leben an sich für so wertvoll anzusehen, dass es in Geld gar nicht mehr darstellbar ist, sondern nur noch in sich selbst. Wie erbärmliche Kartenhäuser fallen dann die börsennotierten „Werte“ in sich zusammen, weil es eben keine Werte sind, sondern lediglich tollkühne Absprachen auf eine Zukunft und auf Zeit mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. Was hat das denn noch mit Mensch Sein zu tun? Gar nichts. Es ist eine leer laufende Maschinerie toter Materie, die von Kleingeistern wie ein Gott verehrt und angebetet wird. Welcher Mensch, der gerne über sich und die Welt und den Sinn des Lebens nachdenkt, wird denn auf solch eine Nullnummer noch herein fallen?

Und die in Brasilia oder Washington Türen eintreten und Fenster zerschlagen, sind doch nur die Verlierer dieser Gewinner und lassen sich obendrein noch einmal vor ihren Karren spannen – als kopflose Krakeeler und traurige Abgehängte von einem System, das immer mehr dieser Art entfremdeter Wesen produziert.

Also: Ihre erbärmliche Gewalttätigkeit ist nichts weiter als die Kehrseite der Geld-Monster-Maschinerie weniger Anzugsträger. Kümmern wir uns also besser um diese – denen muss nämlich das unlautere Handwerk gelegt werden, und nicht den Opfern ihrer Geldgier.

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