Europa – Meditation # 401
Das Märchen vom Märchen.
Es läuft einem eiskalt den Rücken herunter: Deutschland. Ein Wintermärchen. Aber in beiden Fällen – bei Heinrich Heine und 2006 – geht es um die Umschreibung einer Wirklichkeit, die beileibe keine märchenhaften Züge hat.
Denn zur Zeit – trotz der zunehmenden Hitze – ist Kälte angesagt: Da allen mehr und mehr die Mittel ausgehen (weil die Inflation blüht und gedeiht, weil die Preise auf hohem Niveau Polka tanzen, weil Energiepreise aus dem Ruder zu laufen beginnen), läuft es den Menschen eiskalt den Rücken herunter: Wie sollen wir denn eine Ferienwohnung buchen, wie sollen wir die Energiepreise für den Winter wuppen, wie den Kita-Platz, die Ausbildung, das Studium finanzieren, wie die Schulden tilgen?
Und das Sommermärchen? Natürlich muss das, was da – meist spontan und nicht groß geplant – 2006 viele erleben durften, ins Reich der Märchen exportiert werden. Denn sonst könnten die begeisterten Menschen ja meinen, dass die Risse, die durch die Eigentumsgesellschaft klaffen, gar keine natürlichen Verwerfungen sind, sondern bloß schlechte Gewohnheiten, die Menschen in künstliche Sektoren pfercht.
Da standen doch tatsächlich wildfremde Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Welten zuprostend nebeneinander, fachsimpelten fleißig und hitzig, lachten frei von der Leber weg und duzten sich auch noch einfach so. Und kamen wieder. Knüpften an die Gespräche vom Vortag an, tranken Bier und lachten schon wieder um die Wette. Man hatte ein Thema, man nahm Stellung. Männer wie Frauen. Es war kein Märchen, es war lediglich märchenhaft angenehm, unterhaltsam und bis dahin unvorstellbar.
Was könnte man daraus lernen (wenn es nicht umgehend zu einem Märchen verniedlicht worden wäre?)?
Dass die materiellen Unterschiede nicht zu sozialen Ghettos mutieren müssen, dass der homo sapiens stets derselbe bleibt und viel Hass und Gewalt heraus genommen werden könnten, wenn nicht fleißig an mentalen Betonmauer gearbeitet würde. Und dass in kleinerem Rahmen – das Viertel, der Kiez – sozialer Austausch lebendig und respektvoll gelebt und gepflegt werden könnte. Der Sommer 2006 ist ein gutes Beispiel dafür. Und gerade deshalb wird es immer wieder zu einem Märchen verunglimpft, Weil inzwischen -die Eigentumsgesellschaft erzeugt über materielle Fakten soziale Gräben – immer weniger immer mehr von diesem Ghetto-Denken profitieren. „Erzähl mir doch keine Märchen!“