Europa – Meditation # 423
Trotz Lärm und Getöse kein Laut.
Als wären Sprache, Bilder und Denken eine solide Basis für Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten! (Unüberhörbar sozusagen)
Dabei haben wir Europäer längst unser Denken mit scheinbar unübersteigbaren Mauern befestigt und darin ein Kolonisationssystem etabliert, das uns nicht als solches erscheinen darf, weil es die Münchhausiade offen legen würde, die es ist. Mit beinharter Logik und eiskalter Dialektik haben wir unser kleines Bewusstsein groß geredet und zu unwiderlegbaren Genauigkeiten verstetigt.
Konditioniert durch die selbst erschaffenen Routinen – zu Lande, zu Wasser und in der Luft – bilden wir uns ein, ein stabiles Weltmuster aufgebaut zu haben, das allen Widrigkeiten zu widerstehen weiß. Für „alles“ erfinden wir beruhigende Begriffe – wie beispielsweise : Dunkle Materie, Urknall, Schwarze Löcher – und bündeln es in sogenannten Narrativen, die wir anschließend im Aktenschrank unserer Gewissheiten geruhsam ablegen.
Wenn dann trotzdem Störfeuer einsetzen – zum Beispiel Vulkanausbrüche aus Island oder Erdbeben in Afghanistan oder in der Türkei oder Überschwemmungen in Lybien oder im Ahrtal – dann rücken die Berichterstatter näher aneinander, um das plötzliche Unglück in erklärenden Erzählungen wenigstens im Nachhinein zu entdämonisieren. Und wieder sind es die Routinen – zu Lande, zu Wasser und in der Luft – , die das Verharren in den eingeübten Denk- und Sprechmustern erleichtern. Wenn dann aber auch noch unvorhergesehene Gewaltausbrüche wie Meteore aus dem Nichts über unser geordnetes Dasein herfallen, müssen wir umso fester am eingeübten Denken festhalten.
Ob am Dnjepr oder am Jordan, ob am Kongo oder am Ganges, immer sind es Männer, die über andere Männer samt ihren Familien herfallen, sie foltern, vergewaltigen und massakrieren. Und die UNO verabschiedet in einstimmigen Abstimmungen eine Resolution nach der anderen, um dem so ein Ende zu bereiten.
Wenn nun Fanatiker kilometerlange, unterirdische Labyrinthe buddeln, um von dort aus ihre Gewaltfeldzüge zu starten oder Geiseln zu halten oder Munition unter Krankenhäusern zu stapeln, dann wird selbst dieses unglaubliche Tun wortreich und medienwirksam weltweit gezeigt, angeklagt und verurteilt. Gleichzeitig werden friedliche Kämpfe in großen Arenen organisiert, die wie früher im Circus Maximus in Rom oder Konstantinopel die Massen gegeneinander anschreien lassen. Gleichzeitig verdienen die besonders Klugen an der Massenproduktion von Waffen, Munition, Minen, Drohnen und Raketen. Der katastrophale Lärm, der beim Zünden dieser Explosiva Tag und Nacht zu hören ist, verebbt allerdings tonlos im kalten, stummen Sein des Weltalls – auch ein Wort, das bequem etwas zu vereinnahmen scheint, das uferlos, sinnlos und wortlos, aber ebenso zeitlos und raumlos das Chaos, das es ist, nicht zu fassen vermag.
So lebt seit ein paar Augenblick diese winzige Species erfinderisch, lautstark und zerstörerisch vor sich hin, bis sie ebenso lautlos im nächsten Augenblick im Unüberschaubaren einfach so wieder versinken wird.
Da wird auch keine phönizische Prinzessin auf dem Rücken eines weißen Stiers aus dem Nichts auftauchen und ein gebieterisches „Halt!“ in den leeren Raum rufen. Nein. Stille, nichts als raumgreifende, gefrierende Stille. Und ein endlos sich bewegendes Chaos.