Europa – Meditation # 429
Gewohnheiten walzen wie immer Utopien nieder.
Das Auto ist nicht nur in Europa, wo es erfunden wurde, der Fetisch schlechthin, es ist auch im Bewusstsein der meisten längst so etwas wie natürlich, so selbstverständlich, dass eine Debatte über den Individualverkehr natürlich gleich hysterische Brunftschreie – vor allem der Männer – freisetzt. Nachdenken wird so von vornherein verunmöglicht. Außerdem hat die Gewohnheit in Sachen Auto – Straßennetze, Lärm, Gestank, Stau, kolossale Parkhäuser, verstopfte Einbahnstraßen – die Phantasie längst in ihrem Spielraum stranguliert: geknebelt, geknechtet, gedemütigt – so liegt die Phantasie am Boden, weil Mobilität „nur noch“ so scheinbar gedacht werden kann, wie diese agile Metallkiste es zulässt.
Von der Tod bringenden Gewalt ganz zu schweigen.
Hier aber soll noch einmal anhand von zwei zu Herzen gehenden Beispielen aus Deutschland – wo Mercedes, BMW, Audi und VW die Götzen sind, die um jeden Preis angebetet werden müssen – anschaulich verdeutlicht werden, zu welchen hirnrissigen Folgen dieser Fetisch die Männer treibt:
1. Beispiel – Verkehrsunfall auf der Bundesautobahn 5 im Juli 2003
Die 21-jährige Mutter und ihre zweijährige Tochter verstarben noch an der Unfallstelle. Zeugenaussagen zufolge war unmittelbar vor dem Kontrollverlust ein dunkles Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit dicht auf das Fahrzeug der Verunglückten aufgefahren.
Umtobt von den fürchterlichen Kriegen der Gegenwart scheint der Hinweis auf die von einem Testfahrer verursachte Tötung einer Mutter und ihrer zweijährigen Tochter nicht der Rede wert.
2. Beispiel – Genauso wie der gewaltsame Tod auf der 555 erst vor einigen Tagen, als ebenfalls eine Mutter (49) mit ihrer Tochter (23) bei einem Wettrennen von zwei spätpubertierenden Bubis – Nachwuchskicker beim 1.FC-Köln – in ihrem Kleinwagen verbrannten, weil sie wohl den jungen Männern im Weg waren – auf gerader Strecke…
Vier Frauen, die heute noch leben könnten, wenn nicht…ja, wenn nicht was?
Wenn nicht die Pandora in ihrer Büchse dieses fatale Geschenk („nimm nur, es ist ein wunderbares Spielzeug, mehr nicht!“) gehabt hätte, das eben nicht nur unsere Beweglichkeit so unglaublich unterstützt, sondern auch u.a. uns ein weiteres Instrument zum Töten liefert. Die Zahl der Verkehrstoten ist zwar dramatisch zurückgegangen – vor fünfzig Jahren waren es noch 18000 – 1990 mehr als 10000 – jetzt sind es „nur“ mehr als 2000 Tote.
Dabei gibt es genügend Beispiele auf der Welt, wie man den Individualverkehr ersetzen kann durch klügere, kostengünstigere, ungefährlichere Fortbewegungsweise. Stichworte wie Cable-Cars oder Gondeln wären nur zwei, die echte Alternativen böten.
Wie viel Platz würde der homo sapiens sich schaffen, wenn der Individualverkehr aus den Städten vertrieben würde, wie viele Menschenleben würden verschont werden!
Der Wille des Menschen kann Berge versetzen – so wie Sultan Mehmed während der Belagerung von Konstantinopel 1453 eine Landstraße für 70 Schiffe bauen ließ, um die Sperrkette am Eingang zum Goldenen Horn auf dem Landwege zu umgehen – Kreisel statt Ampelkreuzungen, Fußgängerzonen statt Durchgangsverkehr sind nur kleine Beispiele für Not wendenden Veränderungen:
So ließe sich auch der gesamten Individualverkehr in den Städten mittels pausenlos hin und her pendelnden Kleinbussen ersetzen und auf den Autobahnen bereit stehende Leihfahrzeuge, die man statt eigener Metallkisten einfach nutzt. Man steigt einfach am Ende der Autobahn um und ein in ein bereitstehendes Shuttle-Gefährt. Von den denkbaren Dimensionen städtischer Seilbahnnetzen ganz zu schweigen – siehe La Paz, wo inzwischen schon mehr als 300.000 Fahrgäste täglich hin und her befördert werden.
Warum darauf warten, bis Politiker Planungsbüros einrichten für Planer, die planend daran arbeiten sollen, gegebenenfalls nach ganz neuen Plänen den öffentlichen Verkehr zu gestalten?
Jetzt will der Wille des Volkes per Entscheid die Verkehrswende starten, jetzt, nicht morgen oder demnächst oder…
Aber wo sind die entscheidungsfrohen Menschen zu solchen Veränderungen?
Sie verbarrikadieren sich hinter Gewohnheiten, Zwängen, Zweifeln. So wird der Verbrennungsmotor noch lange machtvoll dazu beitragen, die Lebensqualität von uns allen nachhaltig zu schmälern. Dumm, sehr dumm.