22 Jun

Europa – Meditation # 453

Der ersten folgt endlich die zweite Revolution!

Denn nur im Wandel liegt der natürliche Weg des Lebens. Und die künstlichen Gebilde, Wege und Gebäude, die sich die Menschen auf ihrem Weg – individuell wie historisch – dabei bauen, sind nur vorübergehende Manifestationen einer Sehnsucht nach Dauer, Beständigkeit und Sicherheit. Die aber bietet die Natur, zu der selbstverständlich auch die Tiere und Pflanzen gehören, nur für Augenblicke.

Die sogenannte Neuzeit – beschworen vor dem Hintergrund des Bildes von der Wiedergeburt der Antike, um dem flüchtigen Augenblick wenigstens ein bisschen Dauer zu verleihen – schien dann ihren ersten Höhepunkt mit der großen Revolution von 1789 erreicht zu haben. Obwohl es gar keine Revolution war – es sei denn, wir nennen jede Veränderung der inneren und äußeren Natur eine Revolution – denn der Raubbau am überbordenden Reichtum der belebten und unbelebten Natur ging ungebrochen weiter; statt Comte war man nun unabhängiger Fabrikbesitzer oder Großhändler oder Reeder oder Bankherr oder beamteter Wissenschaftler. Alle bemüht, die Geldsäcke praller und praller zu füllen, während am anderen Ende der Gesellschaftsleiter, der bürgerlichen, die Arbeiter zwar nach und nach mit brauchbarer Kleidung versehen wurden, aber weiter ein Leben nah am Abgrund zu führen hatten, anfangs auch mit unbarmherziger Kinderarbeit, tausendfach. Veloziferisch nannte ein Schreibtischhengst die Zeit und traf den Nagel auf den Kopf – bis heute – denn Beschleunigung, „das größte Unheil unserer Zeit“, klettert gerade mit dem Algorithmus als „Basis“ auf schier ungeahnte Höhen. Autobahnen, Tiefgaragen, Auto- und Flugzeugfriedhöfe (was für eine zynische Bildersprache: Flugzeuge werden jetzt also auch beerdigt?!) pflastern den mutwillig versiegelten Boden kopflos und übermäßig. Um im Bild zu bleiben: allmählich wird die Luft dünn und dünner, als müssten wir den Mont Everest besteigen. Wozu?

So steht im Grunde nicht die zweite Revolution an (die erste war ja überhaupt keine), sondern die endgültige: weg vom Individualverkehr (man stelle sich vor, wie viel Platz es plötzlich in den großen Städten für Parks, Alleen und Wasserspiele gäbe, wie viele Menschen nicht bei Verkehrsunfällen ums Leben kämen, wie frisch und gesund die Luft wäre. Und all die Menschen, die dann nicht mehr an Fließbändern für Blechlawinenprodukte ihre Lebenszeit vergeudeten, könnten endlich innovativ die längst notwendigen Reparaturen des ruinierten Globus in Angriff nehmen. Für Arbeitslosigkeit wäre da wirklich kein Raum mehr. Also, was soll das pharisäische Geraune vom Kollaps der Wirtschaft, wenn wir nicht fleißig weiter beschleunigen, ausbeuten und ruinieren? Das sind doch nur die Platzhalter all derer, die vom Ruin profitieren.

Und Geld und Eigentum sind auch nichts anderes als vorübergehende Vereinbarungen auf ein Machtspiel, bei dem es zwar einzelne Gewinner gibt, dafür aber zahllose Verlierer. Und der Mörtel, der dieses unredliche Spiel schon viel zu lange zusammen babt, ist nichts anderes als Gewalt. Entweder anonym im Konkurrenzkampf der Kämpfer auf dem Marktplatz oder im Gewand staatlicher Unparteilichkeit – also „im Namen aller“, die dann eben über diesen Umweg manchem nutzt, nicht aber der Gemeinschaft. Die scheinbare Richtigkeit dieser Gewohnheiten redet lediglich die litaneienhafte Wiederholung herbei. Schluss damit. Punkt.

Besonders der sogenannte Nationalismus hat zu diesen gewaltsamen Auswüchsen geführt: Was wäre nicht alles möglich geworden, wenn die Millionen jungen Männer, die in den „Schlachtfesten“ der letzten beiden Jahrhunderte – in Asien, Amerika und Europa – verbluteten, ihre phantastischen Leben hätten führen können und mit ihren Begabungen und Ideen der Geschichte auch damals schon eine ganz andere Richtung hätten mitgeben können? Eine kindliche Frage? Das kann nur der sagen, der noch einmal davon gekommen ist und im Wohlstandsbrei wie im Schlaraffenland sich suhlt.

Es ist eine gute Zeit zu leben, denn sie fordert geradezu heraus, keine Lust mehr zu haben auf panem et circenses, sondern stattdessen solidarisch – von Region zu Region in ganz Europa – anzupacken, den Schlamassel nicht länger elegisch hinzunehmen, sondern – auch jenseits der leer laufenden Parteiendemokratie-Gewohnheiten – eigenverantwortlich auf die Straße zu gehen. Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen, lautete neulich ein Slogan. Der neue sollte lauten: Habe Mut, mit deinem Nachbarn zusammen in deiner Straße anzupacken, deine Region in den Blick zu nehmen und in überschaubaren praktischen Bündnissen da anzufangen, wo du gerade bist!

Und lasst euch weder ablenken noch verführen von Unterhaltungsprogrammen oder Politikgesülze. Die Veränderbarkeit der bestehenden Welt ist nämlich überhaupt nicht kompliziert, sie ist uns nur aus der Hand genommen worden von denen, die von sich sagen, sie seien die Spezialisten! So?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert