Europa – Meditation # 454
Manchmal liegt in Worten Wahrheit, öfter nicht.
Die anspruchsvollen Medien hüben wie drüben empören sich jeden Tag seit Jahren über die Lügengeschichte eines ehemaligen Präsidenten und derzeitigen Favoriten auf das Amt im Weißen Haus oder über die Wortwolken aus Budapest oder vom Balkan. Das könnte beim Leser falsche Rückschlüsse auslösen: Wir durchschauen ihn, also kommt er damit auch nicht durch – oder: Wir lassen uns nicht belügen, wir stehen auf der Seite der Wahrheit. Wie naiv ist das denn? Ist es nicht absolut professionell, den Konkurrenten zu belügen, damit d e r Entscheidungen daraufhin fällt, die dem Lügner nützen? Dünnes Eis, spiegelglatt. Das ist die Sprache. Und wenn man dann noch die älteste und wirksamste rhetorische Figur ausgiebig benutzt – die Wiederholung – dann dient die Sprache jeder Botschaft unbedingt.
In Europa wird derzeit Immanuel Kant immer wieder beschworen, der ebenfalls sehr wortreich und für die meisten unverständlich scheinbar Richtiges zu sagen hat: Nutzt euren Verstand, lasst euch nicht betrügen! Doch die Lügen haben lange Beine und einen noch längeren Atem.
Die Beispiele aus der Geschichte lassen sich gar nicht alle aufzählen: Kain, Belsazer, Odysseus, Catilina, Cäsar, Cleopatra….und als einer der peinlichsten Höhepunkte der Anstreicher aus Braunau nicht zu vergessen, der wie der Trampel aus Mannahatta einfach drauflos redet, bis keiner mehr zuhört. Aber das macht rein gar nichts. Denn vor dem Spiegel sagt die raunende Stimme sowie so nichts anderes als: „Du bist der Größte! Die sind dir alle nicht gewachsen! Wir schreien sie einfach nieder! “ Und warum sind die miesen Ratten uns nicht gewachsen? Weil sie nicht glauben wollen, dass es nicht um Wahrheit geht, wenn in großen und vor allem unendlich langen Reden der Weltuntergang beschworen wird, von dem nur e i n e r die Welt retten kann, nämlich der, der am überzeugendsten zu lügen versteht.
Denn es geht dabei ja gar nicht um Wahrheiten, nein, es geht um Gefühle. Auf der einen Seite die von Minderwertigkeit, die durch Lautstärke und Flucht nach vorne verscheucht werden sollen, und auf der anderen Seite um Hass gegen die Mächtigen, die dem einfachen Mann seinen Schneid abgekauft haben, die zu Unrecht mächtig sind, die nur mit Lügen (!) und Bestechung dahin gelangt sind, wo sie jetzt zu unrecht stehen. Und der schlecht gelaunte Schreihals vorne am Mikrofon spürt und fühlt, wie sie an seinen Lippen hängen, wie sie die Worte inhalieren, wie egal es ist ihnen ist, was da an Worttiraden auf sie nieder prasselt, sie fühlen einfach, wie gut es tut, wenn der beneidete
und gehasste Goliath vom goldigen David niedergemacht wird: Soll der Böse doch unter dem Berg an Worten ersticken, wir trampeln das ganze noch ordentlich fest, applaudieren und hofieren den furchtlosen Lügner, dem sie nun auch noch jede Menge Geld in den Säckel schütten, damit er die nächsten Lügen-Kampagnen auch finanzieren kann, damit „ihre eigenen Wahrheiten“ den längeren Atem haben werden.
Wie könnte man diesem Lügen-Tsunami wirkungsvoll entgegen treten?
Nicht mit Worten jedenfalls, aber mit Taten. Die bisherigen Nichtwähler müssen mobilisiert werden, deren Gefühle müssen getriggert werden. Denen müssen die Medien klar und deutlich und immer wieder vor Augen führen: Wenn ihr euch nicht entscheidet, eure Stimme abzugeben, werden die Lügenbarone und ihre jaulenden Scharen triumphieren. Wollt ihr das wirklich zulassen?