Europa – Meditation – # 86 Heimat – Text Nr. 5
Heimat – und keine Ende der Debatte
Es war abzusehen, dass einige Leser und Mitdenker des blogs gerne wissen möchten, warum im letzten Text einerseits von unterschiedlichsten Heimaten die Rede war, andererseits aber fast wie in einem Gegenbild von Nationen wie Japan und Palästina (wobei hier nicht auch noch die Palästina-Debatte eingeschleust werden soll – das kann an anderer Stelle sehr wohl noch ausführlichst geschehen!).
Ich gebe zu, dass sich da eine leichtfertige begriffliche Ungenauigkeit einschleichen konnte, die der beabsichtigten Argumentationsrichtung im Grunde zuwider läuft.
Drum hier die notwendige Korrektur und Klarstellung:
Es scheint, dass in Japan die Menschen durch Geschichte, Mythen und Erziehung nachhaltig eingebunden bleiben in eine Bilderwelt, die ihnen von klein auf vertraut ist und mit ihnen reist, wo auch immer sie die Berufswelt hin spülen mag – trotz der auch in Japan krakengleich um sich greifenden Fliehkräfte moderner Arbeitsweltbedingungen. Wie hinter einem feinen und bunt bemalten Fächer bleiben so die Menschen fest verortet mit diesen alten Geschichten und Orten aus Kindertagen, in denen Großeltern leise und gebetsmühlenartig Geister, Bäume, Höhlen und Tiere bemühten, um ein buntes Band von Zugehörigkeiten um die Enkel zu wickeln. Das wärmt ein Leben lang. Heimat eben.
Auch in Palästina – gerade weil eine Idee wie die Nation immer ein albtraumhafter Mythos blieb – werden die Kinder von ihren Großeltern stattdessen mit Bildern aus uralten Geschichten und Mythen umflüstert, die ihnen helfen soll, die elende politische Wirklichkeit für dieses Volk zumindest auf der Ebene der Familiengeschichten hinter sich lassen zu können. Wie auf einem fein geknüpften Erzählteppich fliegen sie so sicher gegurtet durch einen Alltag, der ihnen sonst eine schlimme Heimatlosigkeit zumuten müsste. Eine wärmende Heimat eben.
Demgegenüber ist natürlich ein Innenministerium, das Heimat als Teil des zu bearbeitenden Themenfeldes ansieht, geradezu absurd.
Hinzu kommen nun auch noch die Verlockungen der digitalen „Wolke“, die mehr und mehr zu einer Art Surrogat zu werden scheint – eine neue Heimat gewissermaßen, die allerdings das, was sie verspricht, nicht halten kann. Wie auch? Denn diese neuen Gewohnheiten sind nichts weiter als eine bodenlose Einladung zu einem freien Fall ins Nirgendwo – Heimatlosigkeit als neues Lebensgefühl der Sonderklasse! Die Leichtigkeit und scheinbare Zeitlosigkeit, mit der diese Angebote ununterbrochen schmeichelnd anklopfen, sind einfach unwiderstehlich und eine angenehme Provokation den Spielverderbern gegenüber, die nicht müde werden zu warnen: „Das tut dir nicht gut, das tut dir gar nicht gut!“
Wie beim freien Fall im bungy-jumping ist der kick so gewaltig, dass er sehr, sehr schnell zur Sucht werden kann. Nur gibt es in der „Wolke“ kein Seil mehr. Die Rückkehr müsste der freie Wille aus freien Stücken bewerkstelligen können. Und das kann er nur, wenn er geerdet ist in einer ihm vertrauten und lieb gewordenen Heimat, die mit ihm reist, wo auch immer er hin aufzubrechen beschließt.