Europa – Meditation # 94 Heimat-Text Nr. 11
Sprache, unsere verlässlichste Heimat?
Einem wohlbekannten Wochenmagazin war wohl nichts Brauchbares eingefallen für die Titelseite dieser Woche. Was tun? Einfach mal nicht kleckern, sondern klotzen. Und so bediente man sich des verlässlichsten Instruments, das der homo sapiens sich ausgedacht hatte, der Sprache in einer Weise, dass man nun sprachlos dasteht und lesend denkt: Wie anbiedernd wird hier der Leser mutwillig unterfordert und behandelt wie ein hohler Tropf:
Italien zerstört sich selbst und reißt Europa mit
Was für katastrophale Bilder für das Kommentieren einer Regierungsbildung in einem EU-Land!
Schnell mal die Angst-Keule auspacken und gleich ein ganzes Land zum Täter machen für einen Selbstmord
und
schnell noch den ganzen Kontinent mit ins Katastrophenbild einbinden, damit die Angst auch jeder teilen kann!
Und das auf der Titelseite eines Magazins, das für sich beansprucht, auf hohem intellektuellen Niveau Tages- und Weltereignisse kritisch zu begleiten und zu kommentieren!
Und das Bild, das man diesen haltlosen und grobschlächtigen Angstsentenzen unterlegt, verdoppelt noch einmal das Angst-Muster:
Man nehme ein vertrautes Alltagsgerät, eine Essgabel, umwickle sie locker mit Spaghetti und forme eine davon in eine Galgenschlinge, und fertig ist das Mondgesicht…!
Denkste. Fertig ist der Blickfang, der ja Leser animieren soll, dieses Papierangebot konkurrierenden Blättern vorzuziehen!
Der treue Abonnent wird es hoffentlich nur Augen verdrehend und achselzuckend hinnehmen („Was will man machen? Die Print-Medien stehen eben unter unheimlichem Druck – vor allem durch die Gewitter-WOLKE, die im digitalen Gewande vernichtende Blitze schleudert; um einmal auf ähnlichem Niveau die Sprache zu strapazieren). So einfach ist das und so unsachlich zugleich!
Ach ja, und was hat das mit dem Thema Heimat zu tun?
Ziemlich viel.
Jeder/jede ist in seiner/ihrer eigenen Sprache am ehesten zuhaus. Auf die kann er/sie sich verlassen. Das ist Heimat. Wohlfühlen. Wehmütiges Erinnern im Sprechen, im Tonfall, im Denken. Darum sollte sie auch nicht verramscht werden – wie es in diesem Titel-Text geschieht.
Italien – kennst du das Land, wo die Zitronen blühn? – du kennst es nicht? –
ein Name, der für viele Sehnsüchte, kulinarische wie kulturelle steht, wird hier mutwillig demoniert, in einem Personalisierungsmuster, das an verunglimpfender Vergröberung nichts zu wünschen übrig lässt.
Und Europa – nicht einmal der naheliegende Begriff EU wird verwendet – wird wieder einmal dargestellt wie eine Frau, der Gewalt angetan wird, obwohl sie doch gar nicht gemeint sein kann. Selber schuld?
Denn auch der Name Europa ist dem Leser eigentlich eine weite Heimat, in die er seine eigene, kleine gerne bettet, um weiter in Bildersprache – hier aber in einer positiven Weise – zu erwidern.
Wir Europäer sollten in aller Vorsicht und Behutsamkeit mit unserer Sprache umgehen. Nicht nur im privaten Umfeld, sondern auch vor allem im öffentlichen Raum, damit uns das Vertraute nicht mutwillig fremd gemacht und zerredet wird.