09 Dez.

Europa – Meditation Nr. 474

Der alte Mann am Bosporus und die Arbeit am eigenen Mythos

„Hoffnung auf Neubeginn in Syrien“ lautet die Titelseiten-Überschrift beim GA heute. Ist das eine Frage oder eine Feststellung oder bloß ein Aufhänger? Als wenn über Nacht stabile Seilschaften und gefüllte Waffenlager sich plötzlich in Luft auflösten!

Hier noch einmal die unvollständige Liste der Akteure im arg geschundenen Syrien:

1. Der ISIS und seine Ableger

2. Die Kurden

3. Die Türkei

4. Russland

5. USA

6. Israel

7. Die Rebellen

Und derzeit im Unterstand die Hisbollah und der Iran. Abwarten, dann Gelegenheiten nutzen.

Der Kanzler der BRD geht noch am Abend der Flucht von Assad nach Moskau ans Mikrofon und fordert mit strenger Miene Anerkennung der verschiedenen Religions- und Volksgruppen, Rechtssicherheit für die Bürger und freie Wahlen. In welchem Traumland lebt der denn? Natürlich spricht er dem „social-media“-Zaungast aus dem Herzen, der ja weiter im Wohlstands-Dienstleistungsanspruchs-Muff vor sich hin besserwissert und seine „likes“ verteilt: Dann können ja gleich die Millionen syrischer Flüchtlinge zurückreisen in ihr malträtiertes Land und beim Wiederauf-

bau helfen.

In welchem Wolkenkuckucksheim leben die denn gerade?

Die konfuse Gemengelage wird jeder der Akteure – hinter dem Vorhang des euphorischen Neubeginn-Jubels – für seine langfristigen Ziele nutzen. Die Autonomie Syriens bleibt selbstverständlich eine Fata Morgana.

1. Wir haben den langen Atem, wir werden von unserem Gott geführt, wir werden siegen. Also, auf ein Neues: Die Angst der anderen ist unsere Chance. Wir sind völlig furchtlos und voller Zuversicht – in the lang term.

2. Die Kurden im Nordosten Syriens wittern natürlich ihre Chance für mehr Autonomie und kulturelle Eigenständigkeit: Kurdistan light vielleicht?

3.Der alte Mann am Bosporus träumt jede Nacht von einer Groß-Türkei – deshalb müssen alle kurdischen Verselbständigungen – im eigenen wie im angrenzenden Land – massivst weiter geknebelt und unterdrückt werden. Immer schön hinter dem Mäntelchen „regionaler Schutzpatron der Unterdrückten und Verfolgten“ zu sein! Jetzt bietet sich dem Greis das Momentum zum Zupacken. Er wird es nutzen. Und die EU wird sich peinlich berührt nach Südamerika abwenden und lieber über Mercosur palavern. Kaufleute-Motto: Wir kümmern uns um die Geschäfte, den Rahmen mit seinen immensen militärischen Kosten überlassen wir lieber den ganz großen Playern, in deren Windschatten lässt sich gut Warenverkehr organisieren.

4. Die Militärbasen der Russen sollen auf gar keinen Fall – wie die der Amerikaner in Afghanistan – über Nacht evakuiert werden! Im Gegenteil: Sie werden sich den Rebellen andienen bei der Stabilisierung der inneren Verhältnisse – dass man bis gestern Assad am Leben hielt, ist einfach Schnee von gestern. Man muss nur die Zeichen der Zeit richtig zu deuten wissen.

5. Wenn jetzt US-Bomber ISIS-Stützpunkte bombardieren, wird doch allzu deutlich, dass beide Seite weiter kräftig mitmischen wollen. Syrien ist einfach strategisch – zwischen Europa und Asien – weiter ein unverzichtbarer Angelpunkt für militärische und ökonomische Ansprüche.

6. Nie wieder werden wir die Lämmer sein, nie wieder. Im Gegenteil: wir werden das Vakuum in Syrien nutzen, unsere eigenen Ziele an unseren eigenen Grenzen systematisch weiter zu verfolgen.

7. Wir die Rebellen läuten nun ein neues Zeitalter von Frieden und Wohlstand ein…

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