Europa – Mythos # 52
Drei Männer, drei göttliche Spanner
„Hat ja gut geklappt, eben, beim Palast“, flüstert Hades seinem Bruder prustend ins Ohr.
„Pst!“, zischt Zeus zurück, „wir dürfen bei den Frauen keinen Verdacht erregen!“
„Schau dir die mal an, Bruderherz“, kann Poseidon sich nicht verkneifen zu sagen“, die sehen ja wie Göttinnen aus. Stimmt’s?“
Zeus legt seinen Zeigefinger auf die Lippen; dabei stiert auch er wie benommen auf die tanzenden Frauen. Etwas linkisch hocken die drei Götter im Gewand von Bettlern am Eingang zum Vorraum des Tempels der großen Göttin. Sie wissen nicht so recht, was sie tun sollen. Einfach weiter starren oder Hände emporstrecken, als ob sie beteten oder in der Nase bohren, am Oberschenkel kratzen oder…
Unter ihrer Verkleidung kocht ihnen schon ganz ordentlich das alte Blut.
„War eine gute Idee von dir, Zeus, mal kurz vorbei zu schauen, was die so planen“, wispert Hades jovial. Zeus nickt gönnerhaft. Alle drei tun so, als wären sie wirklich nur neugierig, was für ein Tanzstück da eingeübt wird. In Wirklichkeit würden sie am liebsten…gut, dass keiner weiß, wie menschlich auch die Götter sind.
Sie können sich gar nicht satt sehen an diesem Tanz. Wie bunte Libellen – so scheint es ihnen – fliegen sie fast über dem Boden dahin, ihre bunten dünnen Tücher, die sie sich um den Leib gewickelt haben, wehen verführerisch um sie herum. Und was sie da sonst noch so alles zu sehen bekommen! Das Lachen schallt so hell und lockend durch die hohe Halle, dass die drei Bettler vor Begeisterung am liebsten mitgelacht hätten. Aber sie müssen sich zusammenreißen. Wenn Hera Wind von dem heimlichen Ausflug nach Kreta bekäme, so wäre das für Zeus eine wahre Katastrophe. Sie würde sich natürlich eins und eins zusammenrechnen können.
Jetzt machen die jungen Priesterinnen eine Pause, und da Europa die drei längst entdeckt hat, geht sie scheinbar ganz zufällig auf sie zu um zu fragen, wer sie sind und ob sie ihnen helfen könne. Da geschieht allerdings etwas sehr Eigenartiges. Plötzlich wird ihr schwindlig, die Bettler verschwimmen vor ihren Augen, sie schwankt, sie muss sich an einer Säule stützen. Kurz durchatmen, Augen schließen und dann weiter, denkt sie dabei.
Als sie die Augen wieder aufschlägt – die Tänzerinnen sind schon auf sie aufmerksam geworden: Warum steht sie da so komisch an der Säule, wo will sie denn überhaupt hin – stutzt sie unwillkürlich. Sie muss sich getäuscht haben. Da sind gar keine drei Männer, unbehindert kann sie zwischen den Säulen in die Gärten schauen, die im heißen Sonnenlicht ihren Mittagsschlaf halten. So dreht sie sich wieder um, lacht, streckt die Arme aus und ruft:
„Also, meine Lieben, weil ihr es schon so gut könnt, machen wir es gleich noch einmal!“
Leichtes Gestöhn ist die Antwort, aber was sollen sie machen? Wenn Europa es so will, werden sie es wohl machen müssen. Und während sie immer wieder lobend die Frauen anfeuert, denkt sie gleichzeitig über die drei Bettler nach. Da stimmt doch etwas nicht. Später wird ihr ihre Göttin in einem Traum bilderreich verraten, was hinter diesem Auftritt für eine lächerliche Geschichte steckt.