Europa – Verraten und verkauft ? (Meditation # 46)
Die da oben – losgelöst von denen da unten – im Leerlauf, auch nach dem Referendum
Nachdem sich wochenlang die beiden „Lager“ wie bei einem Gefecht gegenüber gestanden hatten, wobei auch dieses Bild schon eine gewaltsame Vereinfachung eines ziemlich komplizierten gesellschaftlichen Zusammenhangs ist, der eben gerade nicht einfach, eben gerade nicht schwarz und weiß und schon gar nicht richtig und falsch ist, ist nun nach dem „Sieg“ der einen und der „Niederlage“ der anderen (ungeklärt bleibt selbstverständlich, wer die einen und wer die anderen denn wirklich sind!) kein Erkenntniszuwachs zu bemerken. Hat jemand etwas gelernt dabei? Ist jemandem etwas klar geworden, was ihm bisher unklar war? Haben wir nun klare Verhältnisse? Nein.
Vielleicht wäre es hilfreich, sich kurz an einen kleinen Sinnspruch von RUMI zu erinnern, der es einfach auf den Punkt bringt:
„Es gibt einen Ort jenseits von richtig und falsch; dort treffen wir uns.“
Denn statt sich gegenseitig mit unpolitischer Stimmungsmache zu beschimpfen – die da oben sitzen auch diesen Knüller der Basis einfach aus und die da unten sind wie immer völlig unkontrolliert ihren Wutgefühlen zum Opfer gefallen – wäre es vielleicht ratsam, sich wirklich zu besinnen:
Was bewegt die Menschen, die so gewählt haben, wie sie gewählt haben?
Wovor fürchten sich die einen und was befürchten die anderen?
Was scheint ihnen denn in unserer Überflussgesellschaft zu fehlen?
Welches „Wir“-Gefühl wird denn sehnsüchtig gewünscht?
Das schnelle Geld, das schnelle Auto, das schnelle Argument, das schnelle Entertainment – all das scheint keine Antwort auf solche Fragen bereit zu stellen. Im Gegenteil: Die besorgten Fragen kommen direkt aus dem Herzen, in dem Glück und Unglück stündlich Wachwechsel zu halten scheinen. Gegen Zeit und Vergänglichkeit helfen weder Sonntagsreden der Politiker (welcher Couleur auch immer), noch einschmeichelnde Angstmasseure (welche Hilfe auch immer versprochen wird).
Es scheint in diesen Tagen geradezu tragisch, dass der Moment der Besinnung ungenutzt vertan wird, weil keine Seite der anderen die Zeit gönnt, einzuhalten, nachzudenken und den Mut aufzubringen, gewohnte Denkmuster auszusetzen:
Die EU ist keine Naturkategorie, Verträge können geschlossen und gelöst werden,
Europa ist keine Einheit, sondern eine Vielheit von verwandten Geschichten,
die in den verschiedenen Regionen völlig verschieden klingen und erzählt werden.
Was 1945 eine Not wendende Vision war, kann heute eine Fessel sein.
Wenn Wachstum solche Not in Europa erzeugt hat, dann kann daran so nicht festge-
halten werden!
Wenn die Finanzwelt in solchen Zeiten weiter auf ihren Bonis beharrt, dann kann das
Modell „EU“ den arbeitslosen Jugendlichen keine Perspektive mehr sein, dann müssen
sie zu neuen Ufern aufbrechen, wo Gerechtigkeit wieder das höchste Ideal ist, an dem
alle Entscheidungen zu messen sind. Von Fairness ganz zu schweigen.
So ändert sich auch jetzt die schlechte Stimmung nicht. Wie auch?! Besitzstände werden nun erst recht verteidigt, geistige genauso wie materielle. So kommt keine Bewegung in die festgefahrene Situation auf dem alten Kontinent Europa. Weder für die Griechen, noch für die Spanier, weder für die Iren noch für die Polen können die medialen Verlautbarungen der politischen Eliten etwas Gutes verheißen, stattdessen sollen alle betroffen auf die Bilanzkurven, Kursschwankungen und Währungswerte starren, als wenn von dort sinnvolle und vertrauensbildende Botschaften zu erwarten wären. Da ist der Rückzug auf die Familie, das eigene soziale Netzwerk nur zu verständlich und auch natürlich. Denn die virtuelle Vernetzung aller mit allen kann zwar nützlich, unterhaltsam und auch aufregend sein, bietet aber keine Sicherheit im Fühlen und Glauben an die Sinnhaftigkeit der eigenen kurzen Existenz auf diesem Planeten. Und pollitischen Großraum-Projekte locken nun kaum noch jemanden vor die Tür – so lange es vor der Tür öde und leer aussieht. Da schmiedet man doch lieber Pläne mit dem Nachbarn, wie man vielleicht gemeinsam Flutwellen aller Art gegensteuern könnte. Das ist dann überschaubar, realisierbar und änderbar. Solidarisch.