Europa – Verraten und verkauft (Meditation # 48)
Moment mal, war da nicht was?
Massenhaft fällt Wasser vom Himmel, reißt große und kleine Autos mit sich wie lästige Spielzeuge, die im Wege stehen.
Ob das nicht zu denken geben sollte?
Ruhelos reiht sich hektisch ein Großereignis an das andere: Autorennen, Fußball, Olympia – und der Sommer brütet über dem Mittelmeer, als gäbe es nur noch ein Hoch nach dem anderen dort. Man liegt eingeölt in der prallen Sonne und arbeitet so fleißig am Ruin der eigenen Haut.
Und alles in Echtzeit mitzuverfolgen. Gänsehaut als Dauerzustand.
Ob das nicht zunehmend mürbe macht?
Dazwischen die inzwischen schon zur Gewohnheit gewordenen Störungen: Schreihälse, die mit der Münze Angst punkten können; Gesundbeter, die als wirkungsvollste Medizin roheste Gewalt anzubieten haben und damit laufend junge Leute für sich zu gewinnen verstehen.
Ob da die vertrauten Feindbilder wirklich weiter helfen?
Und Staaten, die in einem fort am Bankrott vorbei schrabben und die deshalb immer wieder künstlich beatmet werden müssen mit frischem Geld von außerhalb.
Ob das nicht irgendwann auch den unbegabtesten Zeitgenossen in Sachen Zahlen (Da hab ich keine Ahnung!) auf den Gedanken bringen könnte: Läuft da nicht etwas ziemlich falsch in Europa? Schulden scheinbar zu bezahlen, in dem man einen neuen Kredit bekommt, mit dem man die alten Schulden zumindest anfangen soll zu bedienen? Wird die Schuld so nicht immer größer?
Und dann gab es in diesem Sommer auch noch dieses ominöse Zauberwort vom Brexit. Beide Seiten bewarfen sich im Vorfeld mit Befürchtungen und Angstszenarien. Dann kam es so – oder haben wir das schon wieder vergessen? – wie es wohl viele nicht erwartet hatten: Die Anziehungskraft des EU-Gedankens versagte nachhaltig.
Ob das nicht zu denken geben sollte?
Nehmen wir doch einfach einmal eine kleine Region wie Korsika: Als Teil von Frankreich ist diese Insel (seit alters her hat sie den anspruchsvollen Beinamen: Die Schönste) seit Jahren Nutznießer von Geldern aus Brüssel; denn Randregionen sollen ja gefördert werden. Das zeigt Wirkung: Straßen werden ausgebaut – auch in unwegsamem Gelände – eine Universität wird aus der Taufe gehoben, ökologische Großprojekte schützen diese einzigartige Naturlandschaft vor dem Ausverkauf. Die Liste ließe sich leicht fortführen. Aber wo schlägt das Herz der Korsen? Nicht auf Seiten der EU, sondern auf der der Vision einer autonomen Region mit eigener Sprache, Kultur, Musik, Geschichte und Geschichten. Selbstbewusst und stolz sind sie, bei sich selbst, denn ihre wunderschöne Insel ist ein überschaubarer Lebens- und Kulturraum.
Vielleicht sollten die empörten EU-Befürworter einmal diese Insel besuchen, um zu lernen, dass Geld das eine, die gelebte Identität das andere ist – diese ist nicht kaufbar, nur lebbar.
Wenn die EU-Beamten diesen wesentlichen Unterschied zum Herzstück ihrer Europa-Politik machten, wären Regionen und ihr Bestehen auf Eigenständigkeit in Europa kein Klotz am Fuß, sondern unverzichtbare Parameter in einer globalisierten Welt, in der sich die Menschen mehr denn je danach sehnen, ihre eigene Lebenswelt überschauen und selbst gestalten zu können.
Kleiner Vorschlag am Rande: So wie es ein Erasmus-Programm für Studenten in Europa gibt, sollte es auch ein Montaigne-Programm für EU-BEAMTE geben, das besagt, dass jeder im Laufe seiner Brüssel-Karriere die verschiedenen Regionen Europas als Regio-Zivi kennengelernt haben muss, damit der Blick von der Peripherie immer wieder aufs Neue geübt wird, um dann – nach Brüssel zurückgekehrt – mit dieser Blick-Erfahrung kompetente Entscheidungen treffen zu können, die der Autonomie der Regionen weiter hilft – zum Wohle des gesamten Europas.
Sch‘tm