Europa – Genug ist genug – (Meditation # 70)
Die langweilige Litanei der Werbetexter lautet unablässig und einschläfernd: Gewinn und Wachstum um jeden Preis:
„Holt euch mehr, holt euch mehr – mehr ist nicht genug!“
Wonach also streben: Nach größeren Mengen, größeren Zahlen, nicht nach wertvollen Inhalten, anspruchsvollen Werten. Schon die Tulpenhysterie (1637) und der anschließend folgerichtig hereinbrechende Ruin vieler Glücksritter hätte zu Beginn der Neuzeit dazu führen können, ein solches Streben als hohl, leer und ruinös zu erkennen. Aber was waren die Lehren, die man daraus zog: Man muss es einfach noch klüger, noch atemberaubender inszenieren, damit es ein noch größerer Erfolg werden kann. Der Manchester-Kapitalismus führte es menschenverachtend vor Augen: Erbärmliche Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen, die nichts als ihre Arbeitskraft hatten. Riesige Gewinne derer, denen die Bergwerke und Eisenhüttenbetriebe gehörten. Emile Zola hat es fotographisch abgebildet in seinem Roman „Germinal“. Sollte man wirklich mal wieder lesen.
Jede Generation größere Vermögen auf der einen Seite und erbärmlichere Lebensverhältnisse auf der anderen Seite. In den letzten Jahren – im Rahmen der sogenannten Globalisierung – starteten dann die besonders klugen Broker Wetten auf Kurse, die zu sich verselbständigenden Zuwächsen führten, die gar nichts mehr mit der arbeitenden Mehrheit der Menschen zu tun hatten. Auch die Folgen solch skrupelloser Zocker musste die „überraschte“ Gesellschaft bezahlen. Bekanntes Muster inzwischen: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. (Siehe Banken, siehe Energiekonzerne, siehe Automobilindustrien)
Am besten erst einmal Nebelkerzen werfen, auf irgendwelchen kleinen Insel im Ozean ungeduldig den Zorn der Öffentlichkeit aussitzen, dann wieder aus der Tiefe des Raumes kommend neue Spiele inszenieren: Wird schon wieder werden.
Aber der Rubikon ist wohl endgültig überschritten. Die Menschen wollen sich nicht länger am langen Arm vertrösten lassen, sie beginnen sich in überschaubaren Einheiten zu vernetzen, tauschen ihre Produkte aus, heben eigene kleine Währungen aus der Taufe, damit Gewinne nicht mehr nach Nirgendwo abgeschöpft werden können, und entwickeln ein naturverträgliches Energieversorgungsnetz, das schonend genutzt werden soll. Das Angstargument: Arbeitsplätze seien in Gefahr, wenn nicht weiter mehr verbraucht, schneller verbraucht und kostengünstiger produziert würde, ist verbraucht. Die Fratze des gierigen Gewinnstrebens dahinter ist längst entlarvt.
Und dem leerlaufenden Singsang vom „Holt euch mehr, holt euch mehr – mehr ist nicht genug!“ setzen selbstbewusste und lebensfrohe Menschen eine vernünftige bedarfsdeckende und selbstversorgerische Antwort entgegen. Warum sollen wir mehr verbrauchen, als wir brauchen? Warum sollen die Dinge nicht mehr geschätzt werden als langlebige, stabile Begleiter menschlichen Lebens? Nur dadurch, dass die alte Litanei wieder und wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird, wird sie doch nicht wahrer. Nein, sie wird hohler und hohler, billiger und billiger, nichtiger und nichtiger.
Die meisten Menschen sind es müde, Tag und Nacht berieselt zu werden von leerlaufenden Texten, die anstacheln sollen zu müde machendem Verbrauch dessen, was man gerade erst erworben hat. Was für ein Aufwand, solche Litaneien bunt, hektisch und natürlich witzig zu erfinden, was für eine Verschwendung von Phantasie und Begabungen! Das Leben ist einfach zu kurz und zu wertvoll, als es bloß mit gehorsamen Erfüllen dieser öden Litanei zu verbringen. Mehr und mehr vereinsamen die Menschen, weil sie ja gar nicht mehr das Haus verlassen müssen: Es wird ja alles, was man eigentlich gar nicht braucht, sofort geliefert – samt neuer Litanei. Schon die kleinen Kinder werden im Sinne dieses Musters konditioniert. Das ist das Schlimmste: Die Kinder sollen pausenlos die alte Litanei wie die Muttermilch in sich saugen, damit sie brave Erfüllungsgehilfen dieses Musters werden, das da einlullend vor sich hin brabbelt:
„Holt euch mehr, holt euch mehr – mehr ist nicht genug!“
Dabei ist es endlich genug. Es reicht. Fürwahr!