26 Jan.

Europa – Meditation # 313

Europa – die Spitze des Eisbergs.

Der homo sapiens sapiens hat sich das Sprechen in Bildern von Anfang an selbst beigebracht; die Europäer bauten darauf auf und bebilderten sich die Welt mit Wortschöpfungen, an denen sie sich selbst berauschen konnten. So eben dann auch nicht nur das Bild vom Wüstenschiff oder vom Drahtesel, nein, auch das von der Spitze des Eisberges wurde solch ein Sprachbild, mit dem sich trefflich Vermeintes scheinbar anschaulich verdeutlichen lässt.

Europa – die Spitze des Eisbergs?

Wie könnte dieses Bild gemeint sein?

Es geht dabei um die zur Zeit europaweit wabernde Debatte um das Thema Gewalt gegen Frauen und Missbrauch in all seinen Varianten. Zur Zeit scheint diese Spitze dieses eiskalten Berges „nur“ die Kirche zu sein, bis hinauf zu ihren Päpsten.

Neben der inzwischen ermüdenden Auseinandersetzung um die wirkungsvollste Bekämpfung der Pandemie und dem 5-nach-zwölf-Klima-Katastrophen-Notruf des Globus‘ kreist in diesen Tagen nun die mediale Aufmerksamkeitskampagne träge um das Missbrauchs-Thema.

Da aber ist es – fokussiert auf die Kirche und ihre höchsten Repräsentanten – zwar ein schönes Beispiel für die sogenannte Fall-Höhe („Nur wer hoch steht, kann auch tief fallen“) – eine nicht hinnehmbare Verengung der Anstrengungen unserer Medien und der Gerichte:

Denn in einer patriarchalischen Gesellschaft, die u.a. auf einem körperfeindlichen Gesellschafts- und Moralmodell basiert, ist es europaweit nach wie vor so, dass zu viele Männer mit ihrer Sexualität nicht gewaltfrei umgehen können. Ein Kompensationskanal dabei ist auch die Gewalt gegen Frauen oder deren Diskriminierung mit Hilfe der Prostitution, die sie heimlich intensivst gleichzeitig nutzen.

Der Eisberg, der unter der Spitze des Missbrauchs in den Kirchen, unter der Oberfläche mächtig zu Buche schlägt, wird so gerne ausgeblendet, bzw. seine Kälte gegenüber den Opfer nicht als solche benannt. Denn neben der sexuellen Überhitzung frustrierter Männer meldet sich als geiler Partner gerne die Gewalt zu Wort, verbal genauso wie brachial – sei es nun in Polizeirevieren, Bundeswehrkasernen, Ausbildungsschiffen der Marine, oder eben auch Universitäten, Sportakademien, Schulen und Chören, um nur einige zu erwähnen – von Familien soll hier gar nicht erst die Rede sein.

Wie groß dieser Eisberg der Patrix unter der Wasseroberfläche, sprich unterhalb des öffentlichen Bewusstsein ist, lässt sich nur schwer ermessen, da die sogenannten Dunkelziffern europaweit kaum annähernd ordentlich beziffert werden können.

Aber das Bild von der Spitze des Eisbergs und dem, was darunter nicht zu sehen, aber immens gefährlich groß gleichzeitig präsent ist, sollte eben nicht nur als Sprachbild vor Augen stehen, sondern auch unablässiger Antreiber für unerbittliche Verfolgung und Bestrafung sein.

24 Jan.

Europa – Meditation # 312

Wie soll es denn endlich aufhören? (Teil 2)

In diesen Tagen weiß jeder kundige Teilnehmer am öffentlichen Diskurs, was mit „es“ gemeint ist: Der Missbrauch und das Totschweigen der Täter. Ein Dementi folgt dem nächsten, keiner möchte zur Zeit als Begünstiger der Täter in Frage kommen, jeder will unnachsichtig endlich den Opfern zu ihrem Recht und zu Wiedergutmachung verhelfen. Dabei lässt sich dieses „es“ natürlich auch psyschologisch unterfüttern, schließlich gehört es inzwischen zur Allgemeinbildung in Europa, dabei an Freuds Seelenleben-Begrifflichkeiten zu denken. Es liegt eben nicht auf der Hand, oft aber eben auch unter einer Soutane versteckt agierend.

Aber es wäre grob fahrlässig, nun den Augenmerk bei der katholischen Kirche zu fokussieren: Familien, Sportvereine, Chöre, Kinderheime sind genauso sensible Institutionen, in denen Männer diesem „es“ ihren unseligen Tribut ungestraft zu zollen wissen.

Wenn es denn endlich aufhören soll, dann muss den Europäern klar werden, dass dahinter eben ein uraltes Narrativ wispert, das mit Angst und Gewalt diesen unnatürlichen Anspruch der Männer über die Frauen weiter und weiter gibt – auf allen Ebenen gesellschaftlicher Prozesse: Von der Taufe bis zum Gerichtssaal.

Gerade die Faszination von Apparaten, Raketen und Weltraumlaboratorien zeigt die wirkungsvollen Ablenkungsmanöver, bei denen Männer sich austoben können, um angestauten „ES-KRÄFTE“ ein scheinbar sinnliches Ventil zu gestatten. Dass Jungen mit der Eisenbahn spielen und Mädchen mit Puppen ist nur ein niedliches Muster dieses überwältigenden Machtanspruches. Aber eben sehr wirksam: Was die Kleinen brav einüben, wird später dann als natürlich weiter zelebriert, notfalls eben auch mit Gewalt – oder eigentlich gar nicht notfalls, sondern in der Regel mit Strafe für jeden, der sich diesem Anspruch zu widersetzen wagt. Kinder und Frauen zum Beispiel.

So hocken die Männer in ihrer Wagenburg der gewaltigen Männlichkeitsmuster, betrachten sich eitel im Spiegel ihrer unübersehbaren Erfolge und lassen den mächtigen Überdruck, bzw. Samen, im käuflichen Triebhaus ab.

Endlich aber melden sich auch die Betroffenen wirkungsvoll nicht nur zu Wort: Sie verändern sich und ihre Rollen in der Gesellschaft so lautstark, dass sie nicht mehr überhört oder nieder geschrien werden können. Der Hype um Prinz Andrew bringt es auf den Punkt: Missbrauch schützt vor Strafe nicht länger mehr. In Behörden, Firmen, Kirchen und Vereinen müssen sich warm anziehen in diesen Tagen, nicht wegen Winter oder Pandemie, nein, wegen einer Öffentlichkeit, die nicht mehr wegschaut oder schön redet!

Es ist der allzu lange schon fällige Anfang des Endes des Patriarchats, der ja nicht nur die Menschen quält, sondern auch die Natur.

23 Jan.

Europa – Meditation # 311

Wird es je aufhören können? (Teil 1)

Wann hat es denn überhaupt angefangen? Was war es für ein Narrativ, das diesem verqueren Männerbild zugrunde liegt? War es nicht die Erzählung vom starken Mann in grauer Vorzeit im Zweistromland, an dem ein „starker, unsichtbarer Gott“ sein Wohlgefallen hatte, wenn er seinen Geboten gehorsam folgte? Und der unnachsichtig bestraft wird, wenn er sich nicht an die Gebote hält? Der stärker war als die Frau und der seine Triebe – vom einem bösen Dämon versaut – zu bekämpfen hat? Dem dann später im Römischen Reich kluge Kirchenmänner weiter halfen, weil Lohn im Jenseits versprochen wurde – wenn die Gebote eingehalten wurden. Und konnte später dann nicht die Gewalt gegen Kinder und Frauen in der Beichte klamm heimlich gestanden werden (wobei der Priester beim Zuhören seine eigenen Gelüste bedienen konnte)? Schuld wurde und wird so folgenlos entsorgt. Bis heute.

Warum sich über den letzten oder den jetzigen Papst denn wundern? Sie sind doch in besonders exponierter Stellung Garanten dieser großen Erzählung, in der die Triebe – das, was die Natur von jeher kreativ voran gebracht hat, in all seinen Formen und Wesen – zu bekämpfen sind, als minderwertig verteufelt und von Frauen heimtückisch benutzt. Sie fühlen sich nur als Treuhänder einer mächtigen Institution, die es um jeden Preis zu schützen gilt.

Ob eine junge Joggerin in Irland oder in London überfallen, von Männern missbraucht und getötet wird oder ob ein erfolgreicher Trainer junge Turnerinnen drangsaliert, demütigt oder auch missbraucht oder ob ein Schulleiter samt Kollegen in seinem Kielwasser in einem Internat über Jahre Jungen missbraucht oder ob es ein Knabenchorleiter ist, selbst bis in die polizeilichen Ermittlungen und Prozesse hinein, die ja auch wieder von Männern überproportional betrieben werden, ist diese uralte Geschichte vom dominanten Mann und der schwachen und die Sinnlichkeit missbrauchende Frau wie selbstverständlich gegenwärtig – bis in die Sprache und ihre Bilder hinein. Gewalt und Angst sind die beiden Portalfiguren darin.

So schwenkt die mediale Kamera von einem sozialen Fenster ins andere und scheint sich jedes mal zu wundern, dass es immer wieder – siehe Bergisch Gladbach (schon vergessen?) – die gleichen Männer sind, die zu Tätern werden: Die sich selbst missbraucht sehen von ihren Eltern, die sich selbst in der eigenen Gruppe gehänselt oder verlacht sehen, die im Beruf mit der Konkurrenz zu erfolgreichen Frauen nicht klar kommen, die in ihren Beziehungen keine angemessene Sprache finden, Sexualität als befriedigend einzubinden, die scheinbare Herrscherpositionen (als Chefs, Leiter, Trainer, Professor oder hütender Hirte ihrer Gemeinde) gerne nutzen, um Abhängige zu malträtieren.

Berichte dazu europaweit – jeden Tag. Die katholische Variante ist da von Irland bis Sizilien oder Zypern besonders auffällig, aber sie ist eben nur eine Variante unter vielen.