10 Okt.

Yrrlanth – Historischer Roman II – Blatt 141 – Leseprobe

Abt Ambrosius und das rote Martyrium Teil II

Es sind viele, die da mit ihren langen Speeren zwischen den alten Buchen angerannt kommen. Rochwyn und seine Leute aber rühren sich nicht. Sie warten gehorsam auf ein Zeichen des Ducs. Ganz anders dagegen Ambrosius und seine Mitbrüder.

Kommt, meine lieben Brüder, bringen wir ihnen unser heiliges Buch und das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus, des Allherrschers! Wir bitten dich, erhöre uns!“ ruft der Abt ergriffen und laut. Es scheint keine Furcht in ihm zu sein. Oder doch? Als sie jetzt forsch dem Baumgott entgegen gehen, halten Somythall, Sumil, David und Ruth, die Amme, erschrocken die Luft an. Sie spüren förmlich die Gefahr, die sich gerade über die große Lichtung herabzusenken scheint.

Die Krieger stehen ihnen jetzt stumm gegenüber, als die Mönche näherkommen. Abt Ambrosius hebt mit der einen Hand das dünne hölzerne Kreuz hoch und mit der anderen die handgeschriebene Bibel.

Seid willkommen, Brüder, wir bringen euch frohe Botschaft!“ schreit er überlaut in Latein in die beklemmende Stille hinein. Als die sich nicht rühren, sondern weiter nur feindlich und kampfbereit dastehen, geht Ambrosius wild entschlossen weiter bis zum hohen Baumgottbaum und schlägt mit seinem Kreuzlein gegen einen der nach oben ausgestreckten Astarme des Baumgottes. Erschrocken weichen die Krieger einen Schritt zurück, Entsetzenslaute sind zu hören. Rochwyn schüttelt nur mit dem Kopf, als er sieht, was Ambrosius gerade tut.

„Was für ein Dummkopf!“ zischt er entrüstet. Als der Abt jetzt sogar erneut mit seinem Holzkreuz auf den Ast einschlägt, geschieht das, was wohl alle befürchtet hatten: Der Arm des Baumgottes zersplittert und bricht ab.

Ein tiefes, ächzendes Stöhnen entfährt den Kriegern. Dann aber wird ein fürchterlicher Kriegsschrei daraus und viele Speere zischen durch die Luft und durchbohren die stöhnend zu Boden gehenden Mönche. Noch im Sterben – der Abt sackt dabei langsam in sich zusammen – ruft er immer wieder in Latein: „Herr, mein Herr, Christus, komme über sie und strafe sie für diese Untat!“

Jetzt greifen die Krieger, die wie Wutgötter rächend über den getroffenen Mönchen stehen, ihre Kurzschwerter und beenden das Sterben mit vielen Hieben und Stichen. Blut breitet sich wie ein roter Teppich um sie herum aus. Und eine fast schmerzende Stille.

Rochwyn und seine Leute rühren sich nicht. Aber sie sind bereit. Sie werden sich nicht wie diese dummen Mönche einfach abschlachten lassen, sie werden kämpfen. Duc, gib das Zeichen, wir sind bereit!

Der aber gibt das Zeichen nicht. Er wartet, atmet tief aus und ein und wartet. Auch Somythall schaut erwartungsvoll und sprachlos zu ihm hin: Rochwyn, warum tust du nichts? Wir werden alle sterben – hier, denkt sie zitternd und drückt ihr Töchterchen Sumil fest an ihre Brust.

09 Okt.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 126

Athanamas wunderliche Seereise. Teil 1

Die Überfahrt zu dem großen Segler in der Bucht geht viel schneller, als Athanama gedacht hatte. Sie hat nämlich immer noch keine Idee, was sie dem Kapitän sagen soll, wenn er sie fragt: „Was willst du hier?“

Sie hangelt sich, so gut sie kann, an der Strickleiter hoch, klettert über die Bordkante, zieht ihr Gewand wieder ordentlich zurecht und staunt: Wo ist denn der Kapitän?

Die vier Männer haben sich blitzschnell hinter ihr aufgebaut und würden am liebsten alle gleichzeitig über die Fremde herfallen. Doch Athanama holt drohend zu Ohrfeigen aus.

Hohoho!“ grölen die vier und der Rest der Besatzung gleich mit. In diesem Augenblick aber taucht Chaturo, der Kapitän, auf. Athanamas wütender Blick kreuzt den des Kapitäns. Ein scharfer, kurzer Pfiff fährt in die Polterszene. Sofort lassen die Kerle ab von Athanama. Aufrecht steht sie da, schnaufend und wieder treffen sich die Blicke von Chaturo und Athanama. „Alle an ihre Plätze, Segel setzen, Anker lichten, aber fix!“ dröhnt die Kapitänsstimme über Deck. Die Männer kuschen wie verängstigte Tiere und stieben auseinander, als wäre ein Löwe unter die blökende Herde gefahren.

Und zu Athanama gewandt:„Folge mir, Fremde!“

Chaturo versucht bei dem schnellen Gang zu seiner großen Kajüte zu verstehen, warum die Fremde – vor allem ihr Blick – ihn so verunsichern konnte. Die Mannschaft weiß, dass er keine Frauen auf seinem Schiff duldet. Bei dieser hier möchte er aber gerne eine Ausnahme machen. Wie ist das möglich, wie kann das sein? Chaturo braucht einen klaren Kopf, unbedingt.

Als er ihr jetzt auch noch die schwere Holztür aufhält und ihren Duft an seiner Nase vorbeiziehen lässt, wird es in seinem Kopf nur noch wirrer. Dabei wollte er doch nur nach Kreta segeln, um dem Minos dort – diesem Archaikos – möglichst teuer seine Ölfässer zu verkaufen. Weiter nichts.

Athanama wundert sich in diesem Augenblick, dass sie überhaupt keine Angst verspürt. Im Gegenteil. Dieser Kapitän gefällt ihr. So wagt sie ein kleines Lächeln, setzt sich einfach auf einen der vielen Hocker und schaut Chaturo mit großen, freundlichen Augen an.

Hast du vielleicht auch einen Namen?“ fragt der Kapitän ziemlich barsch, als er sich auf seinem Kapitänsstuhl fallen lässt. Sein Kopf scheint völlig leer zu sein. Verlegen spielt er mit einem Dolch, der vor ihm auf dem Tisch liegt.

ATHANAMA!“ antwortet sie mit fester Stimme, „ich….“

Doch da unterbricht er sie einfach:„Athanama? Nie gehört. Warst du an den ehemaligen königlichen Hof in Sidon als Sklavin verkauft worden?“

Nein, ich bin die Freundin von Europa, des toten Königs Agenors Tochter, und war auch Priesterin dort gewesen.“

07 Okt.

Europa – Meditation # 292

Wider den neuen Fetisch – Digitalisierung!

Nach dem CIRCLE nun EVERY von Dave Eggers. Einer, der den Puls der Zeit zu schnuppern weiß, landet zielgenau in diesem Moment seinen neuesten Bestseller. Denn während in Washington gerade eine Insiderin von Facebook auspackt, hat Eggers bereits eine konsumfreundliche Fassung des Problems geschrieben. Die Leser werden lesend genüsslich davon Gebrauch machen, während sie gleichzeitig ihre Apps und Mails checken, damit sie ja nichts verpassen. So kokettiert jeder mit seiner längst vollzogenen digitalen Abhängigkeit und zunehmenden Unfreiheit.

Verpassen? Was denn verpassen jenseits der Wolke?

Höchstens das sinnliche Leben selbst, das nämlich ungestört einfach da ist und genossen werden könnte. Könnte.

Vor der Wahl war in der BRD der Ruf in allen Parteien groß, dass endlich auf dem Feld der Digitalisierung Nägel mit Köpfen gemacht werden müssten – vor allem auch in den Schulen. Und auch jetzt, in den Koalitionsverhandlungen ist dieses Thema ganz vorne mit dabei. Klar. Denn „Modernisierungs-Schub“ klingt wunderbar nach Aufbruch, nach Dynamik, nach virtueller Morgenluft – jenseits des Miefs einer analogen Welt, in der nur noch von Korruption bei der Polizei, in der Politik, in der Wirtschaft, in den Banken die Rede ist. Von den Missbrauchsfällen in den Kirchen Europas und der Welt ganz zu schweigen. Auf Dauer eher ermüdend und lähmend.

So zappeln die Europäer – Erfinder und Vollstrecker des Cartesianismus – in ihrem eigenen Zahlen- und Fakten-Netz, das sie sich für ein freieres und unabhängigeres Leben selbst einst erfanden und zu perfektionieren versuchen. Die sogenannten side-effects werden dabei stets klein geredet, Kinderkrankheiten eben, weiter nichts. (Hier sei nur erinnert an das großmäulige Tönen in Sachen Entsorgung von Atommüll in den 50er Jahren des letzten Jahrtausends.)

Obwohl doch jeder halbwegs wache Teilnehmer am Pandemie-Geschehen in Deutschland längst wissen könnte, was die Fokussierung auf home-office und Lernen vor dem Bildschirm für „Herz-Schäden“ verursacht.

Kinder (von den Erwachsenen könnte Ähnliches berichtet werden) brauchen eben analoge Kinder und Lehrer, um sich selbst als das zu erleben, was sie sind: Hilfsbedürftige, liebeskranke und verunsicherte Lebewesen, die sich nach nichts mehr sehnen als nach Nähe, konkreter Nähe des Mitmenschen. Sei es, um den Unterschied zu sich selbst analog zu erleben, sei es, ertragreiches Lernen über das Lob des Lehrers zu gestalten oder sei es einfach den wohltuenden Unfug zu inszenieren, den man allzu gerne in den Pausen kultiviert. Der einsame Gang zum Kühlschrank oder das genervte Zappen durch öde Programme oder hektische Ballereien ist eben kein Ersatz für das wirkliche Leben.

Deshalb sollte der Ruf nach mehr Digitalisierung in den Schulen wohl gehört, aber nicht überbewertet werden. Was Kinder brauchen – da kann ich mich nur wiederholen – ist das wirkliche Erleben des Lernens unter Mitmenschen.