02 Juni

Europa – Meditation Nr. 502

Das Nationalstaatsprinzip gehört längst zum Altmüll. (Teil I)

Über Nacht sind scheinbar eherne Vorbilder wie schüttere Kartenhäuser zerbröselt – atemberaubend schnell, aber mit viel tamtam. (Schon vergessen? – erst neulich: Mauerfall/Ende des Ostwestkonflikt/Ende des EINE-WELT-KONZEPTS – obwohl sie in der damaligen Wahrnehmung und politischen Großwetterlage als Langzeitphänomene angesehen wurden!)

Die sogenannte transatlantische Brüderschaft entpuppt sich bei Tageslicht als das, was sie wirklich immer war: ein knallhartes Zweckbündnis für die Interessen der amerikanischen Industrie und die Aktien der Börse.

Als die frommen Pilgrim-Väter aus dem feudal-protestantischen Europa in die „NEUE WELT“ flohen, wollten sie dort ein neues Jerusalem gründen – ohne Privilegien (vom Geld natürlich abgesehen, versteht sich von selbst) und in einer „splendid isolation“, um nicht vom alten Denken Europas infiziert zu werden. Sie hielt ihre weiße Haut wie ihr weißes Gewissen vor Gott und der Welt als einmalig. Ja, sie waren sich sogar sicher, dass ihr Gott sie auserwählt hatte, dieses neue, schier unendlich weite Land sich untertan zu machen – manifest destiiny – und alles, was sich dem nicht unterwerfen wollte, durfte im Namen dieser neuen Heilsbotschaft ausgemerzt werden.

Der neue Gott auf Erden war nun der Dollar, gepaart mit einen strengen und prüden Korsage moralischer Engstirnigkeit, die jeden, der ein ansehnliches Haus errichten konnte, als von Gott im vorhinein auserwählt betrachtete. Und von den Kriegen in Europa wollte man sich fern halten, für immer.

Erst als sie sich 1917 selbst angegriffen fühlten, traten sie in den Weltkrieg I ein. Genauso wie sie erst spät zum Weltkrieg II stießen. Die unheilige Allianz mit dem roten Teufel im Osten hielt auch nur so lange, wie es nötig war, bis der Faschismus niedergerungen war.

Der dann als Feind schlechthin auserkorene antikapitalistische Ungeist musste nun weltweit bekämpft werden – wider die unamerikanischen Umtriebe, notfalls auch mit agent orange – und die frisch hinzugekommenen Juniorpartner mussten sich erst einmal in Bündnistreue üben, gleichzeitig galt es auch die materiellen Gesetzmäßigkeiten des Dollars zu inhalieren, damit alle an einem Strang ziehen, dem „make America bigger and bigger world wide“.

Die an diesem Erfolgsmodell angedockten Nationalstaaten (NATO) schienen – vor allem unter einem furchterregenden Waffenschirm – es besser gar nicht hätten treffen können, so blähte sich die Dollarblase auf – weltweit.

Bis das „Reich der Mitte“ aus seinem opiumverseuchten Alptraum nach und nach erwachte, schnell von den gierigen Dollar-Leuten zu lernen wusste und sie inzwischen sogar zu übertreffen beginnt.

Und schon mutiert der ehemalige „große Bruder“ wieder zum schonungslosen Egoisten, dem seine ehemaligen Familienangehörigen so was von egal sind, wenn es um die Dollar-Stärke geht – schön verbrämt mit dem alten Gott-Idol, das vor jeden Geldwagen gespannt werden kann, seit die Puritaner ihn mit nach Übersee genommen hatten.

25 Mai

Europa – Meditation Nr. 501

Europa – ein Festival gemeinsamer Anstrengungen im WIR.

Der Ego-Trip, der Narziss, perdu – Individualismus und Egoismus, die siamesischen Zwillinge der cartesianischen Welterlösungspleite – verkommt zur Trampiade, denn die damit verbundene Selbstisolierung ist sowas von widernatürlich, dass sie außer teuren Spiegelkabinetten und noch teuereren Psychoanalysestunden und Dagobert-Duck-Geldschwimmbädern keinerlei Lebensfreude oder gar Glücksmomente zu erzeugen vermag.

Die philosophische Wegbereitung dieser mutwilligen, geistigen Verirrung geht zurück auf die Flucht nach vorne, als sich die gegängelten Menschen nicht länger von einem Weltbild antreiben lassen wollten, sondern Gott und die Welt endlich als das erleben wollten, was sie sind: eine unüberschaubare Vielfalt an Varianten, die sich jedweder Vereinnahmung in eine Monokultur per naturam verweigert, die aber – wie in einem salto mortale – in rein quantifizierenden Mustern zu üppiger Blüte gebracht werden sollte.

Nun – nach knapp dreihundert Jährchen – sind nicht nur die Philosophen ratlos in der Zirkuskuppel, sondern auch die Zuschauer in der Manege: trotz intellektueller Schwerstarbeit, trotz dialektischer Kapriolen, trotz provokantester Übertreibung sind die Menschen genauso klug wie zuvor. Denn bei aller Neuheit der verzaubernden Denkangebote blieben die seit der frühen Kulturen im Zweistromland erdachten patriarchalischen Monismen – Monotheismus, Monogamie, Monarchie – beinhart erhalten; und nicht nur zum Schaden der Frauen, by the way. Der langatmige Fernsehfilm, der gerade für Millionen Zuschauer aus dem Vatikan ausgestrahlt wurde, ist nur eine weiteres Beispiel für dieses Leichtgewicht an spukigem Gebrabbel über einen heiligen Vogel und seine blutigen Brotkrumen, die einen ehemaligen naiven Wanderprediger aus Palästina als Hokuspokus-Wiedergänger durch Zeit und Raum – schwupp-di-wupp – auf den Petersplatz zu zaubern verspricht. Auf einem Meeting alter Männer im Jahre 325 zu Nicäa war nämlich nach heißer Debatte mehrheitllich beschlossen worden, dass es diesen neuen Turbo-Gott gleich in dreifacher Ausfertigung geben sollte – wer dem widersprach galt als Ketzer und durfte verfolgt werden. Daran halten alte Männer in hübschen Kleidern und eigenartigen Mützen – erinnern ein bisschen an die der Priester des Mithras-Kultes – bis heute feste fest. Europa hatte da ihre gewaltsame Entführung auf dem Rücken eines weißen Stiers bereits hinter sich – die zwar die weitsichtige genannt wird, deren Weitsicht allerdings erst jetzt zum Tragen kommen könnte.

Denn in diesen Tagen widerfährt ihr so etwas wie eine zweite Geburt, der weitsichtigen Europa: ihre Jugend verbrachte sie nämlich in völliger Abhängigkeit von den Europäern, die nach Übersee geflohen waren, um dort ein sogenanntes neues Jerusalem aufzubauen. Das dauerte zwar, ist jetzt aber als Bruchbude mit einem Witzbold als Barkeeper in die Jahre gekommen, von dem sich die Europäer nun aber gerne abnabeln, denn so dumm kann man ja gar nicht sein wie der. Von dem will doch keiner auch nur einen Tag abhängig sein. Der quasselt jede Stunde was Neues, freut sich über seine follower, die hoffen, dabei auch etwas zu verdienen, und weiß am nächsten Tag schon nicht mehr, was er am Vortag leichtfertig versprochen hat. Das Tempo ist auf seiner Seite. Da bleibt einfach keine Zeit, auf Schwachstellen aufmerksam zu machen. Da müssen seine Leute nun mal durch.

Die zweite Geburt der Europa in all ihrer Vielfalt lässt sich in einem kurzen Satz zusammenfassen: GEMEINSAM SIND WIR STARK.

Das W I R ist die starke Antwort auf das schwächelnde ICH, das im Namen der sogenannten Aufklärung als Königsweg in die Selbstbefreiung antrat und krachend scheiterte.

Das W I R sonnt sich nun in der Vielfalt europäischer Kulturen und Traditionen, die alle an einem Strang ziehen können und wollen: Unabhängig, frei und stark der Welt zeigen, dass jenseits des Patriarchats und jenseits des kalten Materialismus ein arbeitsames Leben als gemeinsame Anstrengung zum Wohle aller möglich ist.

21 Mai

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 186

Zeus – schlecht gelaunt – im Kreuzfeuer der Kritik Athenas.

Das Urteil Europas auf Kretas ist kaum verkündet, da kann sich Göttervater Zeus oben im Olymp kaum mehr halten vor Wut, Zorn und Ratlosigkeit. Schnaubend läuft er im Wolkensalon auf und ab. „Was bildet die sich eigentlich ein? Mit einem Blitz könnte ich sie erledigen, wenn ich wollte, mit einem bloß!“ wettert er grummelnd vor sich in. „Was ist denn schon wieder los mit dir, Papa?“, fragt Athena genervt. Entsetzt bleibt Zeus stehen. Das hat ihm gerade noch gefehlt, jetzt in ein Kreuzfeuer mit seiner überklugen Tochter zu geraten. „Nichts, nichts!“ faucht er sie an, als hätte sie ihn beleidigt. „Ach ja?“, spottet sie, „wenn du schon bei ‚nichts‘ so herum zappelst, was für ein Theater wirst du dann erst aufführen, wenn ‚etwas‘ in der Luft läge?“ Diese spitze Zunge seiner Tochter treibt ihn noch in den Wahnsinn. Tief durchatmen, nur nicht ausrasten, flüstert er sich zu. „Jetzt sei mal nett zu deinem Vater, Athena, und erfinde keinen Verdacht, nur weil du so eine blühende Phantasie hast, ja?!“ „Ach ja, wie kommst du denn auf Verdacht? Sollte ich einen haben?“ Sie lässt einfach nicht locker. Zeus ist stolz auf seine Tochter: sie ist so ein kluges Mädchen! Gleichzeitig wirft Zeus noch einen kurzen Blick auf den Gerichtssaal im Palast des Minos von Kreta: Dass die Hohepriesterin Chandaraissa das Urteil noch ummodelt, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Ich muss diesem Siegeszug der beiden Frauen ein gnadenloses Ende setzen. Große Göttin hin oder her, ich muss es einfach tun. Das bin ich meiner Ehre als Gottvater einfach schuldig. „Hast du plötzlich die Sprache verloren?“ holt ihn Athena aus seinen Ränkeplänen zurück ins Kreuzverhör. „Athena, bitte, ich brauche einfach etwas Ruhe. Lauter Probleme da unten sind zu lösen. Da ist es doch klug, nachzudenken, abzuwägen, gegen zu rechnen, gelassen zu bleiben. Das verstehst du doch, oder?“ „Ei, ei, ei , da hat der Papa aber große Geschütze aufgefahren! Fast könnte ich glauben, einen weisen Mann als Vater zu haben!“ „Musst gar nicht die ironische Tour fahren, Töchterchen, ich meine es total ernst damit!“ Gleichzeitig überrollt ihn in seinem Magen die nächste Wutwelle: Diese Europa hat in allem übertrieben, sie muss in die Schranken gewiesen werden. Dass ihm aber im selben Moment ein heißes Lustgefühl durch die Adern jagt, weil er an die Nacht nach der Entführung in Stiergestalt mit ihr in der Höhle auf Kreta denken muss, macht ihn nur noch rasender in seinem inneren Toben. Auf keinen Fall darf er zulassen, dass er denken muss, sie habe ihn erobert, besiegt, unterworfen…Bin ich verrückt? Was sind das denn für Bilder? Da wird oben und unten völlig auf den Kopf gestellt. „Was schnaubst du denn so heftig, Vater?“ holt ihn Athena aus seinem Selbstgespräch zurück ins Kreuzfeuer seiner Kopfgeburt. „Gut durchatmen, ist einfach gesund, meine liebe Tochter, besonders in meinem Alter.“ „Für mich hörte sich das aber eher wie Hecheln an, wie von Magenkrämpfen befeuertes Japsen eines Getriebenen.“ Da verschlägt es ihm den Atem. Sie hat es auf den Punkt gebracht, sie durchschaut ihn. Jetzt nur ja keine Miene verziehen, jetzt ganz ruhig bleiben: „Ich bin die Ruhe selbst, habe Olymp und Welt wie stets unter strengster Kontrolle. Alles im Griff. Ein Glas Wasser wäre jetzt genau richtig für mich.“ Athena kann sich ein Prusten und Lachen kaum verkneifen. Sie nickt und holt ihm ein Glas Wasser von der Bar, tröpfelt aber ein paar Tropfen Nektar mit hinein. „Hier, trink schön langsam, damit du dich nicht verschluckst..“ Zeus nimmt das Getränk, schaut ihr aber dabei nicht in die Augen. Diese Frauen! Europa und Athena, von Hera ganz zu schweigen. Er hat das Gefühl, umstellt zu sein von bevormundenden Wesen, die ihm doch eigentlich untergeordnet sein sollten. Am besten einen kleinen Spaziergang machen. Alleine. Fassung zurückgewinnen. „Ich geh dann mal auf Wolkenwanderung. Tschüss!“