08 Dez

Europa – Meditation # 428

Litaneien statt Kassensturz – wie unpassend.

Ermüdungserscheinungen digital wie analog – die Medien hängen gewissermaßen durch, leiern ihre immer gleichen Gesänge runter, liefern ihren Kotau vor dem verbalen Kampf gegen Antisemitismus ab (man spürt geradezu die tatsächliche oder gespielte Erschöpfung), der Krieg in der Ukraine ist nach wie vor wegen der schlechten Quellenlagen ein zu heißes Eisen, um es endlich ordentlich zu schmieden: Krieg ist Krieg und Frieden harte Arbeit. Die Superlative laufen leer, an jeden Tag ist wieder von „Unerhörtem“ die Rede: Drohnen, Minen, Tunneln, Raketen, Kettenfahrzeuge, Orden, Listen, Lagerkampf um Open AI – hohl, höhler, so ratlos.

So lange die Zentralheizung funktioniert und wir bis Mitternacht einkaufen können, wissen wir, dass wir noch auf der richtigen Seite sind. Natürlich ist gleichzeitig im Gaza-Streifen die Hölle los, während in Dubai weiter Phrasen gedroschen werden und der Ölpreis klar gemacht wird. Vor lauter Wendehälsen weiß keiner mehr, in welche Richtung man sich wenden soll. Hauptsache, eigene Besitzstände können weiter konsumiert werden. Die soziale Schieflage in den USA oder in der BRD kann eben im Moment nicht hinreichend mit kritischen Texten bedient werden, weil wir ja alle längst im sogenannten „Krisenmodus“ angekommen sind. Wie schön, dass es dieser hohle Begriff zum Wort des Jahres gebracht hat, wie schön?

Zum Glück stehen zahlreiche Glühwein-Treffen und das Weihnachtsessen auf der Agenda, das verhilft zu besserem Bauchgefühl allemal. Der Kassensturz, den verlegen wir doch besser ins kommende Jahr, genauso wie den Bundeshaushaltsplan 2024!

Was lügen wir uns eigentlich sonst noch alles in die Tasche in diesen düsteren Tagen des zu Ende gehenden Jahres?

Jedenfalls haben wir inzwischen eine ziemlich dicke Haut entwickelt, wenn es um Begriffskehrtwenden geht: Von Friedensliebe zu Kriegstüchtigkeit, von Asylrecht zu intakten Grenzen, von erneuerbarer Energie zurück zum Weiter Verbrennen fossiler Reste.

„Europas sanfte Macht droht Europas sanfte Macht zu untergraben“ (Joseph Nye) – sanfte Macht? Noch in den Folgen des europäischen Kolonialismus schwabbt die kalte Macht der Europäer zu uns zurück, während wir gönnerisch Restitutionen ermöglichen wollen.

Es wäre gut, soliden Begriffen wieder auf die Beine zu helfen, sie abzuklopfen nach ihren doppelten Böden, die sie fast immer haben. Und es nicht einfach nur bei Schulterschlüssen zu belassen (Verbindungsbruder, Parteisoldat, Blasenfreund, Freimaurerfreund, Hinterbänklerclub) oder bei öffentlichen Bekenntnissen zu verwässerten Grundwerten oder sich ordentlich stark zu fühlen in der kurzsichtigen Wagenburgmentalität. Das würde allerdings bedeuten, nicht mehr nur mit den eigenen Leuten zu reden, sondern den Mut aufzubringen, gerade mit denen ins Gespräch zu kommen, von denen man „sicher weiß“, dass sie auf dem falschen Dampfer dümpeln. Also runter vom hohen Ross und rein in die Kneipe des „Gegners“ (obwohl doch längst klar sein müsste, dass wir alle im gleichen Boot vor uns hin schlingern und keine Zeit mehr ist für selbstgerechte Spielchen)!

27 Nov

Europa – Meditation # 427

Verbale Fundamentalisten am Werk.

Der moralische Rigorismus geht um in Europa. Bekenntnisse sind abzulegen, Hände in geistiger Unschuld zu waschen. Die Guten sollen sich als solche zu erkennen geben: Nie wieder Antisemitismus in Deutschland! Nie wieder…! Was für ein Sandkastenslogan. Genauso wie die Büßer-Show in Sachen Kolonialismus. Als hätten kluge Leute über Nacht erkannt, dass Ausbeutung und Unterdrückung in der Vergangenheit auch von Europäern verschuldet wurden.

Und wieder fesseln sich die Saubermänner mit Hilfe ihrer eigenen Schuldeingeständnissen: denn es gibt keine Existenz jenseits der Binsenweisheit – jedes Handeln hat Folgen, so oder so.

Was ist denn zum Beispiel mit den Folgen der Grundmuster des westlichen Wirtschaftssystems seit 1945? Bodenschätze, die Millionen von Jahren brauchten, um zu dem zu werden, was sie wurden, haben wir in kürzester Zeit verbrannt, verbraucht. Und wir tun es auch weiter, obwohl das Ende längst absehbar ist. Und auch die Folgen für die Umwelt haben wir längst begriffen und befeuern sie weiter und weiter. Wie verlogen ist das denn?

Aber mit dem moralischen Zeigefinger auf die anderen zeigen, das ist eine unserer leichtesten Übungen. Kostet uns nichts, tut der wunden Seele aber so gut.

Gerne entlarven wir auch den rigorosen Königsberger in seinen logischen Denkgebäuden und weisen ihm unerbittlich nach, dass er antisemitische, rassistische und sicher auch patriarchalische Kurzschlüsse mit im geistigen Gepäck hatte. Ist das denn eine hinreichende Bedienung des eigenen Verstandes, Herr Kant? Hätten wir doch nur den Mut, weise zu sein und einen kritischen Blick auf das eigene Vorverständnis unseres täglichen „richtigen Handelns“ zu werfen!

Wer weiß denn im schlauen Europa eigentlich noch von der langen, unseligen Verfolgungsgeschichte des Volks der Hebräer? Unter Titus, unter Konstantin, unter Justinian, unter den Kreuzrittern, unter dem Mob des erzbischöflichen Kölns im Hohen Mittelalter und unter der Schirmherrschaft des Adolf Stoecker und seines gelehrigen Schülers Wilhelm, der später in seinem Exil 1927 u.a schrieb.: „Ich glaube, das Beste wäre Gas.“

Inzwischen haben sich die Europäer – samt ihren Kopisten weltweit – zu unerbittlichen Weißwäschern des eigenen Zerstörungskonzeptes gemausert, das sie nach wie vor als „alternativlos“ propagieren.

Die Kolonisierung des eigenen Denkens mit der unnachsichtigen Hilfe dieses Wäscheprogamms ist längst zur zweiten Natur geworden: Wer dem widerspricht wird als Outcast diffamiert und lauthals beschimpft. Der verbale Fundamentalismus, mit dem dieser Glaube inbrünstig verteidigt wird, walzt alles nieder, was auch nur ansatzweise versucht, es als Selbstbetrug, hirnrissige Ausbeutung der Natur und atemberaubenden Irrweg zu brandmarken. Der Club der Blinden schimpft sich selbst als Seher eines zukünftigen Paradieses auf Erden. Wir müssen nur ordentlich dran glauben.

So schreit man wider die Populisten, Antisemiten, Rassisten, Querdenker und Fundis energisch: „Haltet den Dieb!“, während man selbst gierig weiter sein Schäfchen ins Trockene führt, bzw. in Steuerparadiesen gewinnbringend parkt. Und um die eigenen Ländereien am besten hohe Mauern baut samt Kamerawald, errichtet – am besten aus Mitteln des Steuerzahlers, klar.

22 Nov

Europa – Meditation # 426

DER KRÄNKUNGSBUMERANG IM ANFLUG

Den Argumenten von Albrecht von Lucke von diesem Mittwoch in der SZ (S. 9) „Verbieten bringt nichts“ ist in vollem Umfang zuzustimmen. Nur reichen seine Thesen nicht weit genug.

Denn ein Verbot der AfD wäre nicht nur ein „Offenbarungseid“, sondern auch ein unangemessenes Mittel gegen einen Prozess, der viel tiefer geht: Denn die „Ignoranz vor den Boten“ der kränkenden Botschaften macht die Medien und damit die Öffentlichkeit nur blind für die dahinter durch schimmernde Botschaft:

Die Kränkungen, die nach 1989 im Sausewind und großer Beistandsgeste im Namen der Treuhand (was für ein pharisäischer Ausdruck für unnachsichtige Vernichtung von Arbeitsplätzen und Chancenzuweisung an aalglatte Karrieregeier!)vollzogen wurden, wirken seitdem weiter und weiter – subkutan sozusagen – und kommen nun als Bumerang und anwachsender Bocksgesang an die ehemaligen Kränkungsexperten zurück.

Das sogenannte „Parteienestablishment“ spricht sich selbstverständlich von jeder Lobby-Arbeit frei: es gehe ihr nur um das „Wohl der Volkes“. Das aber ist nicht nur in den neuen Bundesländern reinster Hohn für die damals freigestellten Menschen (vom Erdrutsch in den Familien von damals ganz zu schweigen) , sondern inzwischen auch für viele in den alten Bundesländern.

Auch deren Verdrossenheit wird nach wie vor klein geredet als überzogen oder verfehlt, obwohl die abnehmenden Parteimitgliedschaften in Sachen repräsentative Demokratie doch eine klare Sprache sprechen.

„…ein Verbot der AfD … wäre… speziell im Osten auch Ausdruck des Scheiterns der vor bald 35 Jahren dorthin übertragenen, aber noch immer nicht recht angekommenen Volksparteien-Demokratie“.

Ganz schön verschwurbelt dieses „noch immer nicht recht angekommen“ zu sein.

Die Pharisäer von einst und heute müssen aber endlich der Wahrheit ins Gesicht sehen: Nicht nur hat sich die Parteiendemokratie in sich selbst verselbstständigt (Pöstchen, Lobby, Seilschaften), sondern auch ihre Slogans sind völlig ausgehöhlt – wie flachste Werbebotschaften – sodass sich die kritischen Wähler angeekelt abwenden: Ihre Zukunftsängste, ihre allzu kleinen Renten, ihre Altersvorsorge – nichts von alledem sehen sie ernsthaft aufgegriffen, geschweige denn umgesetzt in wirkungsvolle Konzepte einer nachhaltigen Politik für den Bürger.

So ist es also nicht nur die Kränkung an einem nicht gewürdigten, lebenslangen, anstrengenden Arbeiten, sondern auch die Kränkung an einer Lebensgeschichte, die scheinbar umsonst war, für die man sich besser höchstens schämen sollte. Was für eine Arroganz und Ignoranz ist das denn?

Und so schwirrt drohend eine Bumerang über allen Bundesländern, der alte und neue Kränkungen geladen hat, mit denen die Menschen alte und neue Rechnungen begleichen wollen, weil sie sich hintergangen, übergangen und übersehen fühlen.

Die AfD tut nichts anderes als mit den Mitteln der repräsentativen Demokratie – also mit Wahlergebniszahlen – zu punkten, während die Medien und die Öffentlichkeit einfach nicht verstehen wollen, dass dem weder mit einem Verbot, noch mit Kränken beizukommen ist, sondern nur mit dem Abarbeiten längst überfälligen alten Rechnungen, die im Osten weiter vor sich hin dümpeln und im Westen allmählich mit neuen unbezahlten vermehrt werden.

Die Angst geht um. Sie war schon immer ein schlechter Berater. Aber sie ist immer ein starker Indikator für sofortigen Handlungsbedarf.