23 Feb.

Historischer Roman II Blatt 189 YRRLANTH – Leseprobe

Die drei Brüder verlieren ihr Herz an Pippa und Sumil.

„Habichte!“ zischt David, als er nach oben in den wolkenverhangenen Himmel zeigt. „Falken!“ kontert Jakob sofort. „Die sind doch viel kleiner!“ schiebt Jonas hinterher. Pippa, die unbemerkt hinter ihnen gestanden hatte, lacht aus vollem Halse. Sumil beginnt zu weinen. Erschrocken drehen sich die drei Brüder um, ihr kleiner Streit ist ihnen sichtlich peinlich. „Sie hat bestimmt Hunger!“ überspielt David die Szene. „Oder sie ist einfach nur müde“, mischt sich Jonas ein, während Jakob nur die Augen verdreht und Pippa unverhohlen anhimmelt. Pippas Lachen steckt nun auch die Brüder an. Die Raubvögel über ihnen haben längst abgedreht. Was sie da unten sehen, ist nichts für sie: zu laut, zu groß, zu zappelig.

Später – der Trupp hatte sich um ein kleines Feuer herum niedergelassen, die Pferde stehen längst im Halbschlaf vor sich hin kauend einfach nur da – Rochwyns Leute und die von der hohen Höhle tauschen Erfahrungen aus, was die gefahrvolle Strecke bis zur Küste noch an bösen Überraschungen für sie alle bereit halten könnte – später ermüden auch die drei Brüder in ihren aufgeregten Versuchen, Pippa ihre versteckten Gefühle zu signalisieren.

David bietet sich immer wieder an, Sumil herumzutragen, was Pippa abschlägt. Männer sind immer so grob zu kleinen Kindern. Jonas möchte Pippa pausenlos mit Geschichten aus seiner eigenen Kindheit im fernen Argentovaria unterhalten. Warum erzählt der mir das eigentlich? Und Jakob möchte ihr die Abenteuer des Odysseus nahe bringen. Odysseus, Odysseus. Nie gehört. Sicher ein Held aus der Zeit, als die Juden in Ägypten Sklavenarbeit erledigen mussten. Ich bin einfach nur müde und unendlich traurig, weil Somythall nicht mehr da ist. Pippa kann es eigentlich noch gar nicht wirklich verstehen. Wäre es doch nur ein übler Albtraum, denkt sie verzweifelt. Dann muss sie urplötzlich wieder lächeln, denn dass die drei Brüder sich so um sie kümmern, geht ihr auch sehr zu Herzen. Und zwischen all diesen Gefühlswallungen taucht natürlich auch immer wieder dieser stolze Römer auf, mit dem sie in der hohen Höhle so unbeschreiblich glücklich war – wenigstens für Augenblicke.

„Pippa, wird dir die Kleine nicht zu schwer auf dem Arm? Ich kann sie dir gut für den Rest unserer Pause hier abnehmen.“ Dabei strahlt sie David in einer Weise an, die ziemlich viel verrät von dem, was in ihm gerade vorgeht. Seine beiden Brüder kichern nur. David wirft ihnen einen zornigen Blick zu. Doch Pippa schüttelt erneut nur mit ihrem Kopf.

Da erheben sich aber auch schon wieder Rochwyns Leute, recken sich, lachen und geben ihnen zu verstehen, dass sie weiter wollen. Auch die Leute von der hohen Höhle – völlig schweigsam und in sich gekehrt haben sie bisher den Trupp begleitet. Aber trotzdem immer nach allen Seiten forschende Blicke sendend sind sie auf ihren Pferden und mit ihren Waffen ein wohltuender Schutz.

„Aufsitzen!“ ruft ihr Anführer so laut, dass es weithin zwischen den Bäumen zu hören ist, „aufsitzen!“

Vor Schreck wacht Sumil aus ihrem leichten Mittagsschlaf auf und schreit aus Leibeskräften. Pippa versucht sie zu trösten, die drei Brüder machen sich schnell an ihren Pferden zu schaffen, denn mit schreienden Kleinkindern kennen sie sich nicht aus. Pippa summt geduldig weiche, tiefe Töne in Sumils Ohren, streichelt ihr sanft die Tränen von den Pausbacken und steht nun neben ihrem unruhig auf der Stelle tänzelnden Pferd. Da sind natürlich die drei Brüder wieder zur Stelle, jeder will ihr aufs Pferd helfen, jeder möchte die Gelegenheit nutzen, sie scheinbar völlig zufällig zu berühren. An ihren starken Armen, ihrer schmalen Hüfte, am Rücken. Und sie dabei riechen können. Diesmal ist es Jonas, der im hilfreichen Gedrängel der glückliche Gewinner ist und Pippa mit Elan in den Sattel hievt. Sumil strahlt. David und Jakob machen gute Miene zum bösen Spiel. Der soll sich nur nicht einbilden, dass er bessere Aussichten bei ihr hat als sie! Dementsprechend forsch springen sie auf ihre eigenen Pferde, und schon geht es weiter Richtung Mons Relaxus.

Unterwegs weichen die drei Brüder nicht von ihrer Seite. Dicht neben Pippa und Sumil halten sie ihre Pferde parallel zu dem ihren, dabei ist einer von den dreien immer in der misslichen Lage, dass er nicht so nah an Pippa heran kommt, als die beiden Brüder an Pippas Flanken. Gerade ist es Jonas, der das Nachsehen hat. Jakob und David grinsen. Jonas verdreht die Augen. Und über ihnen kreisen – begleitet von schrillen Schreien – zwei Greifvögel in eleganten Bögen scheinbar völlig uninteressiert und lassen sich dennoch auch nicht die kleinste Bewegung da unten entgehen.

So bilden sie drei kleine Abteilungen, die gut voran kommen: Vorne Rochwyns Leute, die insgeheim von Hibernia träumen, in der Mitte Pippa mit Sumil auf den Armen und eskortiert von den drei aufgeregten Brüdern und als kleine Nachhut die wortkargen Männer aus der hohen Höhle. Aber genauso wie die vorne kennen auch die am Ende den beschwerlichen Weg zur Küste mit all seinen Gefahren nur zu gut.

22 Feb.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 171

Als hätte die große Göttin sie in einen Traum entführt.

Der Oberpriester hebt beide Arme hoch, weit streckt er sie auseinander, die Handflächen nach oben:

„Holde Göttin, Aphrodite, segne unsere Gäste und schütze mit uns ihre Pläne, damit sie an ihr Ziel gelangen und die Antworten hören, die sie suchen!“

Kaum hat er seinen Bittspruch beendet, setzt ein hohes Summen ein. Die jungen Priesterinnen wollen den Fremden zeigen, wie gewaltig ihr Ton in dieser Tempelhalle schwingt und die Zuhörer mitreißt. Und wirklich: Europa ist tief bewegt, genauso wie ihre beiden Söhne, wie Athanama und Chaturo und die wenigen Seeleute, die den schlimmen Schiffbruch überlegt hatten. Ergriffen stehen sie da, schauen wie benommen auf die große Marmorfigur, die fast bis zur Decke reicht, und sind voller Dankbarkeit, dass sie so freundlich aufgenommen worden sind.

Denn nachdem Athanama und Chaturo den anderen von der Quelle berichtet hatten, die sie vor lauter Liebesgier fast übersehen hätten, waren sie gestärkt weiter Richtung Nordosten gewandert, hatten schließlich Hirten getroffen, die ihnen sagen konnten, wie sie zum Tempel der Aphrodite finden würden. Und nun feiern sie mit den Inselbewohnern ein gastliches Fest. Weihrauch wird im Tempel angezündet, Gebete, Gesänge und ein fast unwirklich wirkender Tanz der Priesterinnen als Abschluss im Tempel: Europa fühlt sich stark an ihr eigenes großes Tanzfest erinnert, das so wirkungsvoll Männer wie Frauen verzaubert hatte. Jenseits jedweder Gewalt waren aus ihnen die stärksten Gefühle hervorgequollen und hatte sie übermäßig überschwemmt. Alle waren sie liebend dem großen Gefühl erlegen und hatten es genossen wie noch nie. Ihre große Göttin hatte sie alle verzaubert und in ihnen eine Botschaft verankert, die von liebender Zuwendung, von Achtung, Würde und sinnlicher Leidenschaft spricht.

Also auch hier, denkt Europa glücklich, auch hier wird die fast schon vergessene Botschaft vom Glück im Tanz beschworen. Die bunten Gewänder der Priesterinnen wehen bei den ausladenden Bewegungen wie Flügel um sie herum. Körperformen betonend oder wieder verdeckend und die nackten Füße klatschen dabei heftig auf die glatten Steinplatten. Parsephon, Sadamanthys und Chaturo vergessen vor Begeisterung fast zu atmen, auch die Seeleute stehen da mit klopfenden Herzen und gierigen Blicken, als sich die Tanzenden nun zu Flötentönen und Tamburinschlägen langsam Richtung Ausgang bewegen, die Gäste hinter dem Oberpriester als

kleine Prozession hinterher.

„Hast du die gesehen?“ flüstert Parsephon seinem Bruder ins Ohr, „ die sieht doch aus wie…!“

„Sei still!“ unterbricht ihn Sadamanthys barsch, obwohl er genau weiß, wen er meint oder vielleicht gerade deshalb.

Draußen blendet sie die warme Abendsonne, Lavendeldüfte schmeicheln ihnen ohnegleichen, während die Musiker und Tänzerinnen hinter dem Tempel verschwinden. Schade. Die beiden Brüder hätten nur zu gerne die Tänzerinnen aus der Nähe betrachtet, schade. Bald schon sitzen sie alle an einem langen, schmalen Tisch, auf dem Früchte, Brot, Wein und jede Menge Ziegenkäse ihnen entgegen lächelt.

„Lasst uns nun die Pokale erheben und auf das Wohl unserer Gäste trinken, die unsere Göttin gnädig aus höchster Seenot gerettet hat!“ ruft nun vom Kopf des langen, schmalen Tisches der Oberpriester, der längst sein Gewand gewechselt hat und nun in dunklem Gewand mit goldenen Armreifen und einem einfachen Goldreif im Haar vor ihnen steht und auf seine Gattin blickt, als er den Weinbecher erhebt. Alle greifen nun zu ihren Trinkgefäßen und genießen den herben Tropfen. Dann erhebt sich Europa und sagt:

„Werter Gastgeber, unser Retter! Wir sind tief ergriffen von dem, was wir gerade erleben mussten und nun erleben dürfen. Die große Göttin muss unser Anliegen wohl gutheißen, sonst stünden wir jetzt gewiss nicht hier. So aber bin ich mir völlig sicher, dass wir zurecht nach Sidon zum Orakel reisen sollen, um zu hören, was weiter mit uns und unseren beiden Söhnen geschehen soll. Und euch danken wir aus tiefem Herzen für eure Gastfreundschaft und dass ihr uns ein Schiff zur Verfügung stellen wollt, das uns ans Ziel bringen kann. Wir stehen tief in eurer Schuld und werden nie vergessen, was ihr uns Gutes tut! Auf euer Wohl, euer Glück und eure wunderbare Insel!“

Ihr Gastgeber fühlt sich sehr geschmeichelt, auch seine Gattin lächelt mild zu diesen wohlgesetzten Worten Europas. Dann wenden sich alle gierig den herrlichen Speisen zu, die reichlich auf dem langen, schmalen Tisch für sie bereit liegen.

Auf Kreta allerdings nutzt der Rat der Alten natürlich die längere Abwesenheit von Europa und ihren beiden Söhnen, den Thronanwärtern, um neue Fakten zu schaffen, die alle Pläne Europas über den Haufen werfen sollen.

21 Feb.

Europa – Meditation # 440

Selbstvergewisserung angesichts geschürter Ängste.

Wie sehr doch Fremdwörter allzu Vertrautes mit sterilen Vorhängen verdecken können:

„Marginalisierte Menschen“ – „Präkariat“ – „Mentalitäts-Diskurs“

Auf der einen Seite wachsen dumpf die Ängste vor dem unaufhaltsamen sozialen Abstieg: Kündigung am Arbeitsplatz, Bürgergeld, Kündigung der Wohnung, Hitzewellen, Krankheit, Tod. Auf der anderen Seite wachsen der Konsum von Alkohol, Algorithmenflimmerbildchen rund um die Uhr und die wütende Bereitschaft, sich als Opfer der Wenigen da oben zu sehen.

Und wenn diese scheinbar billigen Konditionierungsprogramme nur oft genug konsumiert werden, verfestigt sich der Opferstatus nach und nach nachhaltig. Und die Wut wächst und die Einflüsterer haben Saison!

Die gegensätzlichen Welten, wie sie pausenlos medial und konkret präsent sind, befeuern auf kleiner Flamme mächtige Gefühle: Wut, Zorn, Hass, Gewaltbereitschaft.

Das ist der gesellschaftliche Hintergrund vor dem gebildete Zeitgenossen nun ihren parteipolitischen Eintopf anrühren, der seinen Bodensatz, sein Vokabular und seine Botschaften aus einem vergangenen Thesenangebot nährt, das auch schon der Gefreite aus Braunau als seine Bibel beschrieben hatte: nicht nur gehe die weiße Rasse ihrem Ende entgegen, weil rückläufige Geburtenraten und übermäßige Zuwanderung das Ende der bisherigen europäischen Kulturen einläuteten, sondern der kleine Mann werde von den Eliten hemmungslos betrogen.

Die vielen Autoren des letzten Jahrhunderts finden nun ihr Echo in der neuen „Bibel“ der Untergangswiedergänger mit dem beängstigenden Titel:

D e r g r o s s e A u s t a u s c h,

ein Buch, das Renaud Camus 2011 herausbrachte. Es gilt in der Tat in Europa als d a s die Augen öffnende Werk der rechten Gruppierungen europaweit.

Eine Aufsatzsammlung unter dem Titel „Revolte gegen den großen Austausch“ häuft noch einmal für die sich als Opfer fühlenden, verängstigten Zeitgenossen die die Angst vervielfältigenden Ohrwürmer an:

e t h n i s c h e Ü b e r s c h w e m m u n g

n i e d e r s c h m e t t e r n d e I s l a m i s i e r u n g

g e g e n u n s e r V e r s c h w i n d e n

g e g e n d i e d r o h e n d e V e r k n e c h t u n g

g e g e n d i e E r o b e r u n g v o r a l l e m d u r c h A f r i k a

Es gab schon einmal ein Buch, das kaum jemand Bock hatte durchzulesen,

dessen Thesen man aber besser gekannt haben sollte, wenn man die Motive des Politikers hätte verstehen wollen, den man anfangs nur als Schreihals glaubte abtun zu können.

Doch jetzt wabert eben nicht nur in Frankreich der Bodensatz aus diesem neuen Buch „Der große Austausch“ von Renaud Camus (2011) durch die Köpfe der wütenden Menschen, sondern auch im Umfeld der AfD echot ähnliches Gedankengut immer unverfrorener – nicht zu vergessen: allein im hessischen Landtag sitzen seit der letzten Wahl 27 Abgeordnete und im Bundestag sind es sogar 78 Abgeordnete, 78! Und in den anderen Bundesländern? Insgesamt sind es auf Länderebene 244 abgeordnete Männer und Frauen! Das sind zusammen mit denen im Bundestag: 322 Repräsentanten unserer Republik. 322!

Und „Biedermann und die Brandstifter“ (Max Frisch 1958) ist nach wie vor eine sinnvolle Lektüre, beziehungsweise ein lohnender Theaterbesuch.

Die vielen Demonstrationen gegen solche Angst-Botschaften sind natürlich richtig und ermutigend. Die sich darin manifestierende Selbstvergewisserung tut allen gut – aber sie wird sehr schnell den Duft eines Märchens annehmen (s. das sogenannte Sommermärchen!), wenn sie sich nicht in konkrete Teilhabe des Souveräns erweitern darf. Denn die repräsentative Demokratie im Gewande der Parteiendemokratie hat stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt – nicht zuletzt wegen der Dauer-Demontage-Taktik der Ampelkoalitionspartner im Tagesgeschäft, das den Souverän verstört, empört und verdrossen macht. Die Haltung der Medien trägt ihren Teil dazu bei und die social media werden mehr und mehr zu einer Bühne – vor allem auf tiktok – wo sich die Verdrossenen dem pseudo-Angebot der AfD ausgesetzt sehen, die fröhlich diesen kostenlosen Kanal nutzen, um ihre Botschaften (s. weiter oben!) dem Souverän zu Füßen zu legen.

Es wird höchste Zeit, dass auf regionaler und kommunaler Ebene dem Souverän direkte Macht zurück delegiert wird, weil er nur so seine Ohnmachtsgefühle los werden kann.