29 Aug

Europa – Meditation # 408

Leistungssport: Ein Spiegel von was? (Teil I)

Hilft nichts, es muss wohl einfach mal gesagt werden:

Jeder ist seines Glückes Schmied, so auch die Deutschen des ihren. Wie gerne wären sie Weltmeister, so wie sie es früher gerne waren – mindestens in der einen oder anderen Sportart, vom Export ganz zu schweigen. Die derzeitige Zwischenbilanz dagegen sieht ziemlich düster aus:

Bei den Männern meilenweit entfernt von einem Fußballweltmeistertitel, U 21 versenkt, die Frauen stolpern in einer sogenannten „leichten Gruppe“ über lauter scheinbare Außenseiter und fahren mit leeren Händen heim. Und in Budapest, bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2023? Da erscheint tatsächlich nicht einmal nur einer auf einem der drei Treppchen, nicht nur mal einer. (tja, könnte ein dreimal Schlauer am Rande anmerken: Wenn der DLV – obwohl ein riesiger Verein – pro Jahr soviel Geld in den Leistungssport investiert wie eine einzige Uni in den USA, dann wundert das doch niemanden wirklich. Als wenn es am Geld alleine läge!)

Sollte man sich Sorgen machen?

Fürwahr, das sollte man.

Und wenn man nach den Ursachen sucht, dann hilft auch nicht die Randbemerkung: na ja, es sind eben gerade die Besten verletzt – von Neuer bis Mihambo und so.

Nein, die Ursachen sind nicht nur hausgemacht, sie sind auch von langer Hand entstanden und mit Inbrunst installiert worden.

Ginge es vielleicht ein bisschen klarer?

Aber gerne doch.

Zwei große Strömungen haben sich da zu einer unguten Allianz vereint:

Die fortschrittlichen Erziehungsmethoden und die social medias.

Nun ja, sicher zwei nützliche Stichworte, aber wieso Ursachen für den Niedergang in Sport und Wirtschaft?

In Teil I soll hier nun das Feld Bildung und Erziehung in den Focus kommen:

Weil wir unsere nachwachsenden Generationen überversorgen mit Fürsorge, Zuwendung, Vorsorge, vorauseilender Hindernisbeseitigung und ihnen möglichst jedwede Frustration, Geduld und Erwartungshaltung ersparen, damit sie ja nicht allzu früh verunsichert und belastet werden.

(Das könnte ja traumatische Folgen haben). Jedes Ritual, jede zeitnahe Verpflichtung soll ihnen erspart werden, falls sie sich gerade nicht wohlfühlen oder keine Lust haben. Das kann doch warten. Hauptsache unsere Jüngsten sind gut bei Laune und bekommen eine Limo – ok, auch zwei – gegen vorstellbare Ängste!

Andererseits helfen wie ihnen sehr beflissen bei der Einübung in den Gebrauch der social medias. Wie schnell sie da auf einmal lernen, wie selbstständig sie ihr kleines Gerät bedienen und nutzen können. Ist das nicht zauberhaft? Und wie glücklich da ihre Augen glänzen.

Klar, nur für eine begrenzte Zeit, klar!

Dass aber der Anspruch, das eigene Kind jederzeit und überall erreichen zu können, um Unheil abwenden und Hilfe bringen zu können, dazu führt, dass die Kinder jederzeit und überall ihre Filmchen gucken und ihre kleinen Botschaften samt Bilder senden, das wird billigend in Kauf genommen. Hauptsache, unser Kind fühlt sich wohl.

Die brillante Wunscherfüllungsmaschine, die da pausenlos die Kinder zu unterhalten weiß (es gibt genügend talentierte Erwachsene in der digitalen Branche, die pausenlos neue Spiele etc. für die Kleinen erfinden und dadurch für Freudenschreie an der Börse sorgen), lässt so Zeit und Raum völlig ins Periphere versinken.

Und die Folgen (als die Ursachen für Fata-Morgana-Frau-Weltmeisterin)?

Man lässt sich lieber unterhalten, schaut lieber zu, gibt schneller auf, meldet sich krank, taucht ab bei Freunden: Die Bedingungen stimmen nicht, die Chefs taugen nicht, der gewählte Bereich erweist sich als langweilig und wenn ich wollte, würde ich die natürlich alle in die Tasche stecken, aber vielleicht später…

Die Klassen sind zu groß für individuelle Förderung.

Die Lehrerschaft ist zu klein für die vielfältigen Aufgaben.

Die Eltern haben keine Zeit diese Defizite aufzufangen, auszubügeln.

Die Gesellschaft ist zu egoistisch, aus dem Topf der verteilten Pfründe umzuverteilen, weil die Priorität natürlich bei der Stärkung der Talente liegen müsste, was die meisten zwar einsehen, aber resigniert abwinken. So zahlen sie die Zeche dann im Ausbau des Polizeiapparates, der Gefängnisse und der psychiatrischen Kliniken. Und die sowieso überlasteten Gerichte arbeiten die leichten und schweren Fälle, die aus den oben genannten Ursachen in einer Konsumgesellschaft massenhaft entstehen, geduldig und stöhnend ab.

Während die Ursachenbekämpfung weiter einfach zu teuer scheint.

21 Aug

Europa – Meditation # 407

So wursteln sie weiter, die Bildungshengste…

Die Sommerferien sind um, wieder wurde ordentlich Geld in die Hand genommen, um die Kinder mit Zeugs für den Schulalltag zu versorgen, und wieder sitzen hoffnungsfroh, neugierig und voller Vertrauen die Jüngsten auf ihren Stühlchen im Stuhlkreis: Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Orchestriert von professionellen Erwachsenen, die von sich meinen, sie wissen, wie der Hase läuft und was gut ist für die Kleinen. Und in den Gymnasien sowie so. Fokus natürlich auf der Beschleunigung der Digitalisierung. Die da anklopfen und um Wissen nachfragen, kennen aber schon längst die Finessen dieses globalen Systems, denn die Mütter wollen ja ihre Jüngsten j e d e r z e i t erreichen. Fürsorge hoch n…! Hubschrauber sind nichts dagegen.

Aber sie kennen nicht nur die Finessen, sondern müssen auch mit den Folgen leben lernen: Pausenlose Bereitschaft im Freundeskreis, neue Bilder und „personal events“ zu posten, eigene Sprache einzunorden auf den Jargon des Internets und ein Filmchen nach dem anderen zu konsumieren. So vergeht die Zeit wie im Fluge. Kommt dennoch Langeweile auf, dann gleich wieder etwas posten oder ein altes Filmchen kreativ bearbeiten. Essen und schlafen werden eher in schlafwandlerischer Manier in Kauf genommen oder ganz am Rande notgedrungen wahrgenommen. Und gleich vor dem Spiegel klären, ob die Frisur mit den Fußball-Idolen mithalten kann. Lesen und Schreiben üben? Wie bitte? Gibt es da nicht eine App, die das für mich erledigen könnte?

Der digitale Tsunami, der da scheinbar freundlich zugewandt über diese Generationen schwappt und schwappt, wird von den Verursachern nur als steigende Kurslinie an der Börse wahrgenommen, nicht aber als ungeheuer liebloser Bereicherungsakt der großen Vier weiltweit, dem a l l e Tribut zollen.

Und dass Lehrpläne und Lehrmethoden längst von den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft überrollt worden sind, wird von den Bildungshengsten und – stuten scheinbar kompetent weg gelächelt. Die eigentliche Ratlosigkeit den radikalen Veränderungen gegenüber ist staunend bei Präsentationen – mit hochkarätiger medialer Flankierung – zu besichtigen, bei denen es im Grunde aber nur um Pluspunkte im eigenen Karriereplan geht und nicht um die Kinder, die wir so zu verlieren drohen.

So aber werden die unnachsichtigen Verhältnisse mit Gewalt die Verhältnisse schaffen, die ihnen zu dienen haben.

31 Jul

Europa – Meditation # 406

Wie flüchtig sind all diese aufgeregten Augenblicke, Europa!

Die Print-Medien haben sie gequält, groß gemacht, geliebt, gehasst: das ehemalige KPD-Mitglied Martin Walser, den Kommunisten Marcel Reich-Ranicki, den BBC-Mitarbeiter Erich Fried. Für die allermeisten jungen Leute nicht einmal mehr ein Stichwort wert. Hä? Wer ist das denn? Wieviel Follower, auf welchen social medias sind sie aktiv? Keine Ahnung!

Dabei hatten die großen Blätter der sechziger und siebziger Jahre (DIE ZEIT, FAZ, SZ und FR, DER SPIEGEL, KONKRET…) längst ihre Feinde definiert:

Marcel Reich-Ranicki – längst aus Warschau in die ehemaligen Westzonen („Tri-Zonesien“) – emigriert, die eigene politische Vergangenheit weich gespült, um in Frankfurt, der Hochburg der Amerikaner, mit spitzester Feder schreibend und fechtend, sein Glück zu machen. Später dann im „Literarischen Quartett“ der schlecht gelaunte Dauer-Verriss-Spezialist, der für Quote sorgte und natürlich gegen den linken Romancier Martin Walser eine Breitseite nach der anderen lostrat, so dass der strampeln konnte, wie er wollte – er kam einfach auf keinen grünen Zweig.

Und wie dieser dann – nachdem ihn Reich-Ranicki 1978 scheinbar großherzig aus seiner linken Ecke gelockt hatte, in dem er dessen Novelle „Ein fliehendes Pferd“ übertrieben lobhudelnd pries und pries, dass die Rezenten in den anderen Print-Medien nur noch atemlos hinterher hecheln konnten – wie dieser Martin Walser dann seinerseits vom Leder zog, als er seinen Text „Der Tod eines Kritikers“ (2002) veröffentlichte und sich klamm heimlich freute ob der Blätterwald-Empörung europaweit.

Diese verbalen literarischen Kleinkriege taten der Auflage über Jahre im Feuilleton nur gut. In den Redaktionsstuben klatschte man sich ab, grinste dreist und freute sich diebisch. Es war wohl ein Heidenspaß und ziemlich wichtig natürlich.

Oder Erich Fried. Der Lyriker und Wanderer zwischen den Ländern Europas: Vom BBC-London ebenfalls in die ehemalige Westzone – „Tri-Zonesien“ – 1983 gab er – zwar nicht den großen Print-Medien, wohl aber einer ausgewählten Zuhörerschaft – zum Besten, was niemand hören wollte, er aber genau zu wissen behauptete: Der Tod der Terroristen in Stammheim gehe eindeutig auf das Konto eines Geheimdienstes, dessen Effizienz man ja sehr wohl kannte und auch heute noch in Europa und anderenorts zu fürchten weiß, bzw. zu schätzen weiß hinter vor gehaltener Hand, versteht sich. Ein Gefallen von einem Club für den anderen…Wem sind die Hintergründe denn da noch überhaupt bekannt – unter Jugendlichen etwa?

Wer erinnert sich denn noch daran? Wer kennt sie denn noch? Von den jungen Leuten wohl niemand, denn deren Poster-Boys spielen längst in einer völlig anderen Liga, die beinhart Tag für Tag dazu beiträgt, dass die Print-Medien den Bach runter gehen. Aber hallo! Seit wann gibt es denn erst den Begriff „social medias“ überhaupt? Gefühlt seit gestern erst – oder?

Nur einer von der alten Garde – Alexander Kluge – hat schon immer gesehen, dass es nichts anderes war als „Artisten, in der Zirkuskuppel ratlos“ (1968). Europaweit und längst auch global.