Die
Demütigungs- und Kränkungserzählung blüht weiter.
2023
Gerade zu
Ostern, wo Friedenstexte ordentlich Konjunktur haben, passt es doch
ausgezeichnet, wenn auch ein paar Brosamen für unsere Brüder und
Schwestern drüben mit abfallen.
1919
Im Deutschen gibt es den Begriff D i k t a t f r i e d e n .
Schon im Begriff schlummert der Unfrieden weiter.
Beladen mit
heftigen Gefühlen. Von gekränktem Stolz, von Erniedrigung, von
schlimmen Lügen. Im historischen Gedächtnis bis heute sehr
unterschiedlich aufbewahrt.
1990
33 Jahre ist es her – so alt war doch auch der Wanderprediger damals am Jordan, als er von Versöhnung, Frieden und Eintracht fleißig predigte – seit die getrennte Großfamilie Deutschland friedlich wieder vereint ist (dank der müden Großmächte, die für einen Moment keine Lust mehr zu haben schienen auf Vorherrschaft, alte Rechnungen und Konflikte).
Es gibt auch immer einen dritten Weg – das war 1953 so, als die Mitte Europas für einen Moment auch als neutrale Brücke zwischen dem Osten und dem Westen denkbar schien und das war auch 1989 so, als dieselbe Mitte zu einem dritten Weg hätte aufbrechen können; mit einer gemeinsam geschriebenen neuen Verfassung, in dem die besten Ideen aus zwei völlig verschiedenen Denkansätzen verschmolzen wären – jenseits der ehemaligen ideologischen Blöcke. Aber diese Wege wurden nicht beschritten. Stattdessen „trat die DDR der BRD bei“. Das Volk wurde nicht gefragt. Damit verschwanden auch die Ideen des sogenannten „Runden Tisches“ sang- und klanglos in der Versenkung.
Die Folgen dieses hastigen „Beitritts“ erleben wir bis heute. Demontage – erinnert irgendwie an die Zeit nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg. Die Sieger ließen demontieren. Nur sind es diesmal die Deutschen selbst, die die Deutschen demontierten. Im wahrsten Sinn des Wortes:
„Erst
haben wir euch euer Land weggenommen, dann die Arbeit, schließlich
die Frauen“ – klingt
das nicht, als sabbere ein alter Kolonialherr über seine
Erinnerungen, die ihn zwar manchmal auch plagen, die er aber auch
genießt wie ein Aphrodisiakum?
So fühlten
sich die anfangs euphorisierten Schwestern und Brüder wie wirkliche
Schwestern und Brüder – wenigstens für ein paar Wochen – bis
ihnen nach und nach dämmerte, dass sie nicht nur über den runden
Tisch gezogen worden waren, sondern dass man sie – die sich 40
Jahre als klassenlose Gesellschaft versucht hatten zu fühlen – zu
Menschen zweiter, dritter Klasse degradierte. Gnadenlos, gesichtslos.
Die Rechtssprechung „Rückgabe vor Entschädigung“ und die neue
Währung erledigten das automatisiert. Den jungen Frauen blieb nur
die Abwanderung, die jungen Männer fuhren entweder unerfahren gegen
Alleebäume oder flüchteten unter Mutters Rock oder unter die
Flagge derer, die für massiven Gegenwind Stimmung machten und
machen. Oder
wurden Drogenfans. Großflächig wurde so gesellschaftliche Teilhabe
oder gar Mitgestaltung verunmöglicht.
Die
angekündigten „blühenden Landschaften“ sind inzwischen
menschenarme Liegenschaften fremder Eigner, die nichts anderes im
Sinn haben als Profitmaximierung. Ironie des Schicksals? Der ehemals
als Klassenfeind nieder gesungene Bruder spielt nun selber die erste
Geige, gnadenlos.
Arbeitslosigkeit
und Altersarmut gehen Hand in Hand durchs alte Land, das sich nun nur
noch als touristische Attraktion gewinnbringend für betuchte Fremde
anbiedern darf, wenn überhaupt.
Und darunter
köchelt weiter – sprachlos, wie nach Ende des Zweiten Weltkriegs
schon einmal – die Demütigungs- und Kränkungssuppe:
Die einen, die trotz ihrer menschenverachtenden Machenschaften mit
weiß gewaschenen Westen einfach in ein neues – vorzugsweise
verbeamtetes – Leben übersiedelten und nun die Rentenpolster
genüsslich absitzen, die anderen, die schwer traumatisiert nicht nur
nicht ihr eigenes Leben in den Griff bekommen können, sondern sich
darüber hinaus auch randständig noch als Versager verständnisvoll
anlächeln
lassen müssen.
In der
Ukraine ist Krieg.
In Deutschland nicht. Es sei denn, man bezeichnet das, was hinter den Kulissen ausgetragen wird, ebenfalls als Krieg.
Dafür gibt es bloß einen neuen D i k t a t f r i e d e n.
Hier werden die Sieger und Verlierer viel wirkungsvoller voneinander geschieden: An der Oberfläche sollen sie wie eine Einheit wirken (das ununterbrochene Unterhaltungsprogramm samt social media ist die Zauberdroge dabei), aber alles, was da drunter vor unglaublicher Zerrissenheit so lange schon lautlos schreit und schreit – da können die klerikalen Profis von den Kanzeln zu Ostern säuseln wie sie wollen – bleibt individualisiert als individuelle Abweichung von der nicht befragbaren Norm der hyperventilierenden Verbraucher. Frohe Ostern!