18 Feb

Europa – Meditation # 378

Wenn Narren Narren treiben.

Nie geht es nur darum, den Winter auszutreiben. Nie. Immer geht es auch darum, die eigenen Ängste vor sich herzutreiben. Wenigstens für einen Augenblick loszulassen, sich frei zu fühlen, wenn auch hinter einer Maske. Oder gerade hinter einer Maske. Denn da kann jeder so richtig loslassen, sich so richtig gehen lassen. Befreien. Wenigstens für einen Moment.

In diesen Tagen – ähnlich wie vor achtzig Jahren etwa (also gestern!) – ist das Narrentreiben besonders schrill. Denn zur Abwechslung werden nicht nur die bösen Geister vertrieben, nein, zur Abwechselung werden nun auch mal wieder die Narren selbst vor den Narren her getrieben – so ähnlich wie in Rottweil beim Narrensprung – diesmal treibt man den drolligen Bären vor sich her und fühlt sich dabei super stark – die Droge Angst tut genauso wie die Droge Alkohol ihren freiwilligen Dienst als wäre alles nur ein Albtraum oder bloße Einbildung. Am Aschermittwoch ist ja immer noch Zeit genug sich selbst in den Rücken zu fallen beim widerlichen Aufwachen aus Kater schwerem Unbehagen.

Aber jetzt – nach sage und schreibe drei Jahren! Drei Jahren! Verzicht – ist es nun wirklich höchste Zeit, dem Feind in sich selbst und im eisigen Osten den Garaus zu machen. Wirklich.

Dass sich die Narren dabei nur immer tiefer und tiefer in ihrer eigenen Narrheit verrennen, kann ihnen zum Glück ja gar nicht mehr bewusst werden. Denn der Dauer-Pixel-Sturm hat die Augen – und die Gehirne sowieso – längst nachhaltig so benebelt, dass alles die Anmutung von Filmvorführung, von Serien und Staffeln zu haben scheint.

Wie sollte man auch sonst noch die Dauer-Beschallung von Krisenmodi allenthalben aushalten können? Wie denn?

Wenn die Narren dann auch noch von Mutter Erde zum Narren gehalten werden: Sie kann es einfach nicht lassen und bebt mal wieder vor Zorn über dieses selbstgefällige, blindwütige Wachstums-Narren-Getue, das die Narren mit scheinbarem Goldregen garnieren.

So glauben sie dann gerne, dass sie reicher und reicher werden, wo doch ihre Armut nur noch immer unübersehbarer wird. Im wirklichen wie im übertragenen Sinne.

Diese Narren aber auch.

Und der Aschermittwoch wird einfach abgeschafft. Inoffiziell, versteht sich. Wir wären doch die reinsten Narren, wenn wir uns von diesen Untergangschören narren ließen!

15 Feb

Europa – Meditation # 377

„Als Staat ist das ehemalige Königreich Preußen längst erloschen,

doch sein Erbe bleibt. Wie wir mit ihm umgehen, sagt viel über unser

Selbstverständnis und Geschichtsbewusstsein.“

(aus: General-Anzeiger – JOURNAL / Samstag/Sonntag 11./12. Februar 2023/S. 1

von Thomas Kliemann)

Seit einem Jahr beherrscht wieder das Thema „Krieg in Europa“ die Medien. Tag für Tag werden die Zuschauer in Europa überreich mit Bildern, Nachrichten, Interviews versorgt, die ordentlich mithelfen, dass „WIR“ uns daran gewöhnen, dass das, was gerade ist – neben Sport, Erdbeben und Inflationsrate (von Inzidenzen ist von einem auf den anderen Tag keine Rede mehr!) – normaler Alltag zu sein hat. Die Wiederholungsschleifen helfen dauerhaft beim Betonieren des Bildes, das zur gewaltsam aufgerichteten Panzerwand mutiert scheint und dass nur mit Gewalt wieder eingerissen werden kann. Das dauert eben.

Leid, Angst und Schrecken. Nicht nur in den Erdbebengebieten, nein, auch in den östlichen Landstrichen der Ukraine – und nicht nur da.

Gleichzeitig läuft in Mitteleuropa mal wieder ein Narrativ an, das scheinbar nichts mit dem aktuellen zu tun hat: (oder doch?) Das nachträgliche Korrigieren von Gewesenem, wie es in Namen erinnert wird: Bismarck, Schmitt, Stöcker, Deutsches Reich, Preußen…, in dem man gewohnte Namen aus der eigenen Geschichte ausradiert, weil sie mit Gewalt, Unterdrückung und autoritären Strukturen verbandelt sind. Aufrechte Demokraten fegen ungute Erinnerungen aus ihrem sauberen Haus, in dem moralische Ansprüche bis in die Straßennamen hinein reinen Tisch schaffen. Als könnte man auf diese Weise das Erinnern, bzw. das Gewesene in den Keller verbannen, wo es keinen Schaden mehr anrichten wird.

Auf solche Ideen können wohl nur Mitteleuropäer kommen, die durch ihre eigene Geschichte immer wieder zwischen die Räder kamen, zwischen Ost und West, zwischen fortschrittlichem und beharrendem Denken, zwischen Gewaltbereitschaft und Pazifismus. Neutralität war da fast immer ein Begriff, der einem das Fürchten lehren sollte. Nun sollen endgültig die „guten Namen“ ist Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen. Die Jury ist selbstverständlich über jeden Verdacht von Parteilichkeit erhaben.

Wäre es nicht angebrachter, statt auszusortieren einfach zu erklären, was mit welchem Namen verbunden ist und wie wir als Zeitgenossen die früheren Generationen zu sehen gelernt haben und wie sich dieses Wissen mit dem eigenen Wissen von Generation zu Generation wandelt, weitet, wächst oder schrumpft? Weil wir Europäer immer Teil der Geschichte bleiben werden, die wir in den letzten zweitausend Jahren uns selbst und der restlichen Welt zugemutet haben? Weil daraus nicht nur unsere Begriffe, unsere Bilder und Monumente, sondern auch unsere Werte und ihr Wandel entstanden sind, sondern auch deren Überschreibungen, Verschönerungen und Weglassungen und im Erzählen bildreich haben explodieren lassen – zu Überwältigungsfresken oder sogenannten Ewigkeitsmustern, an denen wir uns fleißig abarbeiten sollten?

Dann werden wir Europäer vielleicht auch ein wenig behutsamer mit dem neuen bellizistischen Feuerwerksgerede im Angesicht des Krieges in der Ukraine umgehen.

11 Feb

Europa – Meditation # 376

Mitten in Europa benötigen wir dringend wieder ein „WIR“. (TEXT I)

Die unaufhaltsame Beschleunigung einer ununterbrochenen Berieselung drückt jeden unbarmherzig an die Wand der Synapsen-Erschöpfung: Da ist keine Zeit mehr zum Nachdenken, kein Raum mehr für Alternativen, keine Lust mehr für Eigenes. Der Zeitgenosse als Zuschauer – in den Stadien nachhaltig konditioniert – schläft abgefüllt vor seinem Großbildschirm kleinlaut ein; traumlos und unausgeschlafen wacht er schlecht gelaunt wieder auf, nur um das gleiche Muster in den kommenden Stunden zu wiederholen.

Als Kind wurde er in der Kita, auf Kindergeburtstagen, in der Grundschule und später auch noch in der Oberstufe zum eigenständigen „ICH“ verzogen, das die Wirklichkeit als Konsumtempel durchstreift und sich nimmt, wozu es Lust hat. Pappa oder Mama werden es – wie immer – schon bezahlen. Ich bin gut unterwegs, konkurriere fröhlich mit den anderen ICHS und lasse mich tragen von der Fortschrittswelle bis an die entlegensten Winkel des Planeten. Das Morgen warten schon mit noch besseren Angeboten für mich. Ich bin gut aufgestellt, ich bin richtig, ich bin erfolgreich, gnadenlos erfolgreich. Jedenfalls zumindest im Blick in den Spiegel. Nach und nach muss eben auch ein bisschen Koks nachhelfen. Das kostet. Aber es gibt nur den Weg meines ICHS weiter nach oben. Notfalls mit Hilfe geschönter Doktorarbeiten, mit plastischer Chirurgie, Bestechung und keiner falschen Scham vor Korruption.

Burn-out oder/und Klinikaufenthalt und Dauerbegleitung eines Psyhologen – der wie bei den Triumphzügen im alten Rom sein memento mori als gut bezahltes Programm abspult – sind doch nur Ausdruck meines unaufhaltsamen Erfolgsstrebens, bei dem „natürlich“ Kosten anfallen.

Es reicht. Echt.

Die kalte Einsamkeit eines solchen ICHS – in bester Gesellschaft von Millionen anderer solcher ICHS – bedarf dringend wärmender Bodenhaftung. Und die gibt es nur in der wirklichen – und eben nicht bloß digitalen – Gesellschaft mit jungen Zeitgenossen, die sich für neun Monate zusammentun, um gemeinsam zu erleben, dass das Wohlgefühl der Seele und des Körpers nicht im kreiselnden ICH stattfindet, sondern in der Gemeinschaft bescheidener Verhältnisse, in denen konkrete Arbeiten und Übungen für das Volk, das einem Heimat ist, jedem nachhaltig vermitteln, dass das Ich nur im tatsächlichen WIR-Gefühl die Sicherheit und Sinn-Fülle finden kann, die es im digitalen niemals finden konnte.

Diese herbe Pause tut nicht nur den jungen Männern, nein auch den jungen Frauen, nur gut. Denn bis dahin war so etwas wie Eigenverantwortung und kritische Bestandsaufnahme – wo komme ich her, wer bin ich und wo will ich hin? – noch nicht angesagt. Das Leben war bis dahin eben bloß Spielwiese, Schadenfreude, Verschwendung und Selbstüberhebung. Wie soll man da überhaupt zu einer ernst zu nehmenden Berufswahl kommen?

Also Pause. Eine erste, ernste Pause. Übungen im WIR. Dann sehen wir weiter. Neun Monate in Bescheidenheit und Unterordnung. Fragen?