18 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 150

Amirta, Künderin der Botschaft der Göttin, wird hart geprüft.

Anfangs sind die Götter der Winde ihr gewogen. Anfangs. Doch dann – und das bei wolkenlosem Himmel – mischt sich der Gott des Meeres, Poseidon, ein. Mächtig bringt er die Wogen in Wallung. Bald müssen sie sogar die Segel reffen. Boeen noch und noch. Gischt schießt übers Boot. Die Angst steht allen an Bord ins Gesicht geschrieben. Amirta hält ihr Amulett fest in Händen.

„Göttin, Göttin“, fleht sie insgeheim – sie hat sich im Heck hinter einem Berg von Leinen Schutz suchend hingesetzt – „Athanama, hilf, bitte, hilf – wie soll ich sonst deine Botschaft weiter tragen?“

Ein Brecher nach dem anderen geht jetzt über Bord. Verzweifelt schreit der Kapitän Befehle gegen den Sturm. Wird ihr Schiff sinken? Mit Körben versuchen die Matrosen das Wasser wieder aus dem Boot zu schaufeln. Auf beiden Seiten erkennen sie jetzt Bergzüge, Land. Wird es sie gegen die Klippen treiben? Doch dann – sie haben trotz allem die Meerenge hinter sich gelassen – beruhigen sich die Elemente.

Erschöpft atmen alle auf. Amirta dankt still ihrer Göttin. Jetzt ist sie sich noch sicherer, dass die Hohepriesterin, Chandaraissa, sie zurecht nach Hesperien schickt.

Sie segeln und segeln, die sternenklare Nacht über ihnen. Der Kapitän kennt sich mit dem Nachthimmel anscheinend bestens aus. Und so erreichen sie am nächsten Abend die erste Insel von Hesperien.

Männer stehen in misstrauischer Haltung am Anlegeplatz: Was wollen die hier, wer sind die. Und diese junge Frau?

Der Kapitän geht mit seinen Leuten zum Vorsteher des Ortes. Eine ungute Stimmung liegt über dem kleinen Hafen. Amirta steht wartend auf dem Schiff. Was wird ihr Kapitän erreichen?

Jetzt stehen die Männer grinsend da, lachend werfen sie sich in ihrer Sprache Sätze zu. Ihre Gesten sind herrisch, herablassend und verächtlich.

Da wird Amirta klar, dass sie dem jetzt hilflos ausgeliefert sein wird. Wie soll sie so ihre Botschaft weiter tragen?

Da kommt der Kapitän zurück. Mit ernster Miene wendet er sich gleich an sie:

„Junge Priesterin“, beginnt er leise, „du darfst von Bord gehen. Du wirst als Sklavin beim Ortsvorsteher arbeiten dürfen. Wir dürfen frisches Wasser aufnehmen und wieder absegeln.“

Amirta leichenblass. Hat sie richtig gehört? Als Sklavin?

„Aber ich bin Priesterin der großen Göttin, das kann nicht sein!“ hält sie dagegen. Aber der Kapitän zuckt nur mit dem Schultern. So, als wollte er sagen: Ich fand es von Anfang an keine gute Idee, als Priesterin nach Hesperien zu gehen. Die haben hier ihre eigenen Götter. Dann hilft er ihr noch von Bord, reicht ihr ihr Bündel und gibt die Befehle zum Wasser holen.

Amirta fühlt sich wie in einem Albtraum. Trotz der warmen Abendluft friert sie.

Da fasst sie recht unfreundlich und hart ein Mann am Arm, bellt sie in der fremden Sprache an und zieht sie mit sich fort. Amirta weiß, dass es sinnlos wäre, jetzt Widerstand zu leisten. Als sie dann aber den Fremden von der Seite betrachtet, meint sie zu bemerken, dass dieser seine Hand, mit der er sie berührt hatte, wohlig über seine Brust streicht. Dabei tief durch atmet und zu strahlen beginnt. Was hat er?

„Amirta, ich heiße Amirta!“ sagt sie laut und zeigt dabei auf sich. Er schaut sie staunend an. Nickt. Lächelt.

„Dorsom, Dorsom“, antwortet er und zeigt dabei auf sich. Ist das bereits die erste helfende Tat der Göttin, diesen Mann zu besänftigen – gegen eine fremde Priesterin? Amirta gibt sich selbst die Antwort: Ja, so ist es, ja. Doch der Ortsvorsteher ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Das weiß sie nur noch nicht.

18 Dez

YRRLANTH – Historischer Roman II Blatt 162 – Leseprobe

Chlotars Art, Gegner aus dem Weg räumen zu lassen.

Der König hängt gewissermaßen am schiefen Holztisch, stützt sich halbwegs dabei ab, starrt vor sich hin und lässt ab und an ein paar Worte fallen. Er träumt von einem großen Reich. So wie das Römische.

„Unser neuer Pächter, dieser Römersohn, könnte doch von einem umfallenden Baum erschlagen werden. Ein Unglück eben. Was meinst du, Bordov?“

Der gießt ihm ordentlich nach und nickt nur. Bordov weiß, wie man den König bei Laune hält. Nicken, trinken, rülpsen und grölen.

„So was passiert eben immer wieder in unseren Wäldern“, schiebt er rülpsend hinterher und kichert vor sich hin. Da beginnt auch der König zu rülpsen und zu nicken. Wenigstens einer hier in Lutetia, der weiß, was Gefolgschaft heißt.

„Und dieser Römer, Mazenus, oder so ähnlich, dem traue ich alles zu.“ Sein starrer Blick bekommt nach und nach eine ziemlich zornige Note. Bordov steht lauernd am Schreibpult und blättert lustlos in Papieren. Wenn er sich bei diesem Marcellus nur nicht mal verrechnet. Der ist nämlich nicht nur gebildet, kann lesen und schreiben, nein, der weiß auch eine Centurie erfolgreich zu führen. Das sag ich jetzt aber wohl besser nicht, geht es ihm durch den Kopf. So greift er Chlotars letzten Satz auf und flüstert hinterher:

„Wie wahr, wie wahr, mein König. Dieser Römer ist ja nicht einmal getauft.“ Das war jetzt aber das völlig verkehrte Stichwort. Denn wütend wirft Chlotar den klobigen Tisch um, Schüssel und Becher fallen scheppernd zu Boden, Bordov fährt erschrocken zusammen – fast hätte ihn der umfallende Tisch getroffen – , als der König grummelnd den Satz ausspuckt:

„Wenn schon der eigene Bischof Mordpläne schmiedet, wie teuflisch müssen da die Absichten eines ungetauften Römers erst sein?“

Nur das abflauende Hin- und Herkullern des Bechers ist noch in der plötzlichen Stille zu hören. Schließlich treffen sich ihre Blicke.„Verstanden?“

Bardov nickt eifrig. Und schon spielt er in seinem Hirn die Möglichkeiten durch, wie er die Laune seines Herrn nachhaltig bessern könnte.

„Und lass mich nicht zu lange warten, Bardov, verstanden?“

Ein Unterton schwingt dabei sehr bedrohlich mit durch den düsteren Raum:

des Königs Ungeduld ist ein hungriges Biest.

17 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 149

Das Fest bei den Höhlen von Matala.

Es wird eine lange Prozession. Flötenspieler und Trommler vorneweg. Dahinter die Hohepriesterin Chandaraissa mit Athamana an ihrer Seite. Dann tanzende Kinder mit Olivenzweigen in den Händen. Und hinter ihnen in einer Sänfte Europa mit ihren Zwillingssöhnen. Und zum Schluss der Minos – Archaikos. Er ist umgeben von seinen Ratgebern, die in gemessenem Schritt das Ende der feierlichen Wanderung durchs weite Tal Richtung Meer bilden. Wie gerne wären wohl auch die jungen Priesterinnen alle mit dabei gewesen. Aber die sind ja längst abgereist – in alle Himmelsrichtungen auf großen und kleinen Seglern.

Der Himmel ist leicht bewölkt, angenehm warm die Luft, fast windstill. Die Musikanten stellen sich nun am Eingang der größten Höhle in zwei Reihen auf, um Platz für die stolze Mutter und ihre Zwillinge zu machen. Die gesamte Bucht füllt sich gerade mit neugierigen Zaungästen. Schiffer, Netzteflicker, Töpfer, Olivenbauern. Mit dabei ihre Frauen und viele Kinder. Ein Feiertag für alle. Man sitzt auf geflochtenen Matten, isst und trinkt, schaut immer wieder hoch zu dem Höhleneingang, wo jetzt gerade der Minos von Kreta mit der Schar seiner alten Berater, den Ratsherren, ankommt.

Auf einem Felsbrocken mitten in der Höhle steht die große Schale, gefüllt mit Quellwasser. Zwei Ammen tragen die beiden Neugeborenen nun dorthin. Europa wird von vier kräftigen Männern in ihrer Sänfte ebenfalls dorthin gebracht. Jetzt brechen das Flötenspiel und Trommeln vor der Höhle ab. Die Hohepriesterin steht still neben der glänzenden Schale und wartet. Als dann auch der Minos und die Alten sich im Kreis um die Schale versammelt haben, verstummt die Musik. Eine erfrischende Stille erfüllt den hohen Felsendom. Athanama hilft Europa aus der Sänfte, geleitet sie zu ihren schlafenden Zwillingen. Die beiden Ammen halten die kleinen Jungen über die weite Schale. Chandaraissa taucht beide Hände ins kühle Quellwasser, gießt es vorsichtig über die Köpfchen.

„Wir begrüßen euch, ihr beiden, und geben euch hier nun auch eure Namen: Samadanthys“, dabei neigt sie sich zu der Amme auf ihrer Linken, „und dich“, dabei neigt sie sich zu der Amme auf ihrer Rechten und tröpfelt das Kühle Nass über die Zwillinge, die auch gleich ordentlich zu schreien beginnen,“und dich Parsephon“. Die Ratsherren klatschen und versuchen sogar so etwas wie ein kleines Lächeln auf ihre verrunzelten Wangen zu zaubern. Und Europa weint Tränen des Glücks dazu.